Altes Wissen über Kräuter

Wie Kräuterkunde Menschen seit Jahrtausenden hilft

 

Autorin: Jana Pajonk

Die Natur ist die beste Apotheke.“ Dieses Zitat stammt von dem Priester Sebastian Kneipp, der im 19. Jahrhundert nicht nur das Wassertreten, sondern auch die Anwendung von Kräutern für die Gesundheit populär machte. Auch heute, in Zeiten der hochtechnologischen wissenschaftlichen Medizin, hat die traditionelle Naturheilkunde mit Kräutern Bedeutung. Denn im Gegensatz zu Medikamenten mit zahlreichen Nebenwirkungen können die Pflanzen in unserer Umgebung bei leichten Verstimmungen des Organismus ebenso wie bei chronischen Beschwerden sanfte Unterstützung anbieten. Außerdem bilden die Beschäftigung mit den Kräutern, der Aufenthalt in der Natur sowie das Sammeln und Verarbeiten einen wohltuenden Ausgleich zum stressigen Alltag. Deswegen lohnt sich ein genauerer Blick auf das Thema Kräuterkunde.

Kräuter vor rund 50.000 Jahren

Von Anbeginn ihrer Existenz haben Menschen von der wohltuenden Kraft der Pflanzen Gebrauch gemacht. Das Wissen um ihre heilenden Kräfte lässt sich bis in die Steinzeit zurückverfolgen. In der El-Sidron-Höhle in Nordspanien fanden Forschende fossile Zähne, in deren Schmelz sie Spuren von Kamille und Schafgarbe nachwiesen. Da diese Pflanzen in der Küche nie eine Bedeutung hatten, geht man davon aus, dass die Menschen, die vor rund 50.000 Jahren dort lebten, auf den Kräutern kauten, um Magen-Darm-Leiden zu kurieren.

© Judith Koch

Egal auf welche antike Kultur man blickt, Pflanzenkunde und deren Einsatz für gesundheitliche Zwecke, als Aphrodisiaka oder zu schamanischen Zwecken spielten immer eine Rolle. Die indische Gesundheitslehre des Ayurveda, die auf Rezepturen mit Kräutern und Gewürzen setzt, ist mehr als 3.000 Jahre alt. Kurzum: Schon immer arbeiteten die Menschen mit der Natur Hand in Hand. Indigene Völker, die bis heute weitgehend traditionell leben, haben sich dieses Wissen und das Gefühl der Verbundenheit mit der Natur bewahrt.

Das Wissen um die Pflanzen ging verloren

In unserer westlichen Welt kam es mit dem Einzug des Christentums zu einem Bruch mit dieser Tradition. „Durch die Christianisierung ist viel von dem alten Wissen verloren gegangen“, bestätigt Judith Koch, die als Kind erste Bekanntschaft mit Pflanzenkraft machte, als sie die Ringelblumensalbe ihrer Großmutter naschte. Später begann sie, sich selbst für Kräuter und Pflanzen zu interessieren, und machte eine Ausbildung zur Kräuterpädagogin. „Mit der Christianisierung galt die Verbindung zur Natur plötzlich als weniger bedeutsam und heilsam als die zu Gott. So ging das Wissen um die Pflanzen immer mehr verloren“, erzählt Judith Koch.

Lediglich einige wenige Menschen wie Hebammen bewahrten einen Teil des Wissens und gaben es weiter. Im Mittelalter waren sie dafür in größter Gefahr, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Erst Anfang des zweiten Jahrtausends begann man in den Klostergärten, wieder Heilpflanzen zu kultivieren. Hildegard von Bingen war die berühmteste Akteurin dieser Zeit. Zuerst waren es nur Pflanzen, die in der Bibel auftauchten, nach und nach bezog man auch Pflanzen aus der Umgebung wieder ein. Weil sie in Vergessenheit geraten waren, gab man ihnen neue Namen. „Wenn man sich mit Pflanzen beschäftigt, gelangt man ganz schnell auch zur Geschichte der Menschen“, erklärt Kräuterexpertin Koch. „Man erfährt Dinge, die nicht in Geschichtsbüchern stehen.“

Anlegen eines Herbariums

Wer selbst mehr über Heilkräuter erfahren möchte, dem empfiehlt Judith Koch, in der unmittelbaren Umgebung auf Entdeckungsreise zu gehen und sich zuerst ein Herbarium (also eine Sammlung konservierter Pflanzen bzw. Pflanzenteile für wissenschaftliche Zwecke oder auch für die Liebhaberinnen- und Liebhaberbeschäftigung mit der Botanik) anzulegen. Dazu braucht man nicht mehr als ein Körbchen, ein gutes Bestimmungsbuch und vielleicht eine App.

„Man muss gar nicht weit gehen“, sagt Judith Koch. Gerade in der Stadt gibt es eine große Pflanzenvielfalt, die in ländlichen Regionen oft der Landwirtschaft und den Pestiziden zum Opfer fällt. „Auf Brachen, hinter verfallenen Häusern oder auf Wiesen findet man viele Schätze“, schwärmt Koch. Zu Hause presst man die Pflanzen und klebt sie in ein Buch mit Notizen zu Fundort und -zeit. Dann kann man in aller Ruhe recherchieren und die Informationen zur Pflanze, deren Heilwirkungen, Rezepte und andere Anwendungsmöglichkeiten zusammentragen.

Der nächste Schritt wäre das Anlegen einer eigenen Hausapotheke. „Dafür genügen acht bis zehn Kräuter“, erklärt die Kräuterpädagogin. „Denn jede Familie hat ihren Schwerpunkt. Während die einen eher mit Erkältungen zu kämpfen haben, leiden andere häufiger unter Magenverstimmungen.“

Der Natur wieder annähern

Kräuterpädagogen und -pädagoginnen wie Judith Koch setzen sich mit Leidenschaft dafür ein, dass wir altes Wissen zurückgewinnen, uns der Natur wieder annähern und mit ihr im Einklang sowie damit gesünder leben. Und sie ist überzeugt: „Wir sind ein Teil dieser Welt, und die ist ein riesiges Ökosystem, an dessen Spitze nicht etwa der Mensch steht, sondern die Pflanzen.“

Zurück zur Medizin der Neandertaler möchte Judith Koch nicht, denn sie weiß um die Errungenschaften der modernen Medizin. „Auch wenn man sich mit Kräutern auskennt und alles weiß, ist man noch lange nicht in der Lage, eine Diagnose zu erstellen“, betont die Kräuterfachfrau. „Diagnostik braucht die wissenschaftliche Medizin. Bei der Therapie hingegen können Kräuter durchaus helfen.“ Hier wünscht sie sich einen größeren Dialog und mehr Offenheit vonseiten der Hausärztinnen und -ärzte. „Wir haben die Möglichkeit, schwere bakterielle Infektionen mit einem Antibiotikum zu behandeln. Das ist super. Unsere Urgroßeltern konnten das nicht“, erklärt sie. „Aber nicht bei jedem Schnupfen. Da sollten wir Kräuter nehmen. Wir haben ein großes Glück, beides zu haben.“

Judith Koch, geb. 1964, ist ausgebildete Kräuterpädagogin und Autorin. Das alte Wissen um die Geschichten von Pflanzen und deren wohltuender Wirkung auf Menschen gibt sie regelmäßig in Fachzeitschriften und auf Vorträgen weiter. Sie lebt mit ihrer Familie am Rhein und hat sich dort den Traum eines großen Naturgartens erfüllt. Dort pflanzt, beobachtet und erprobt sie heimische Wild- sowie Heilpflanzen.

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