Ayurveda
Gesundheit ist Gleichgewicht
Seit mehreren tausend Jahren wird in Indien eine Heilkunst praktiziert, die in den letzten Jahrzehnten auch in Europa und Deutschland immer mehr Nachfrage erfährt. Denn die chronischen Erkrankungen nehmen zu. Und bei den meisten kann die westliche Schulmedizin zwar die Symptome lindern, grundsätzlich aber wenig ausrichten, denn sie beharrt zumeist auf der körperlichen Ebene. Ayurvedische Medizin hingegen schaut tiefer, ergründet die Zusammenhänge und durchdringt alle Ebenen unseres Lebens: die körperliche, die seelische und die geistige.
Autorin: Jana Pajonk
Das Wort Ayurveda kommt aus dem Sanskrit und bedeutet „Wissen vom Leben“. Die ersten schriftlichen Dokumente der indischen Heilkunst sind über zweitausend Jahre alt. Doch die ältesten Überlieferungen sollen mehr als 5.000 Jahre alt sein. Damals wurde nichts aufgeschrieben, sondern das Wissen von Meister zu Schüler weitergegeben. Seit dieser Zeit beschäftigen sich ayurvedische Ärzte, sogenannte Vaidyas, mit den Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhängen des Lebens; damit, was Gesundheit fördert und wie Krankheiten entstehen.
Nach der ayurvedischen Lehre wird unser Gesundheitszustand auf allen Ebenen (Körper, Geist und Seele) durch drei Funktionsprinzipien gesteuert, die sogenannten Doshas: Vata, Pitta und Kapha. Jeder Mensch hat eine einzigartige Grundkonstitution, die sich aus diesen drei Bioenergien zusammensetzt. Deswegen braucht jeder ein ganz individuelles Gleichgewicht der drei Kräfte. Ist eines der Doshas zu stark oder zu schwach ausgeprägt, kommt es zu einem Ungleichgewicht und wir erkranken. Ziel der ayurvedischen Medizin ist es, das Gleichgewicht wiederherzustellen, denn dann ist der Mensch gesund. Verdauung und Stoffwechsel spielen hierbei eine große Rolle. Wir müssen das, wir aufnehmen, auch verarbeiten (verdauen), auch wieder ausscheiden, damit uns nichts belastet – weder körperlich noch seelisch.
Was tut mir gut?
Vaidyas, ayurvedische Ärzte, nutzen zur Therapie ganz verschiedene Elemente, die auf den Patienten individuell zugeschnitten sind. Das ist im Prinzip alles, was sich positiv auf den Menschen auswirkt. Dazu gehören zum Beispiel Ernährung, pflanzliche Heilmittel, ayurvedische Anwendungen wie Massagen, Yogaübungen oder Meditation.
„Beim Ayurveda geht es um ein glückliches, erfülltes, langes Leben“, sagt Suyogi Gessner. Sie ist seit 26 Jahren praktizierende Vaidya in Berlin. „Wenn wir balanciert und ausgeglichen sind, können wir den Anforderungen, die unser Leben mit sich bringt, besser gerecht werden.“ In ihrer Praxis hilft sie Patienten, sich und ihre Körper besser zu verstehen und besser reagieren zu können. „Im Ayurveda gibt es unendlich viele Werkzeuge für einen gesunden Lebenswandel, eine wohltuende Ernährung und die Reduktion von Stress. Ayurveda vermittelt universelle Lebensweisheiten, damit man ein glückliches Leben leben kann.“
Und damit meint Suyogi Gesser nicht, irgendeinem der vielen neuen Trends oder Dogmen zu folgen, die tagtäglich als Diäten oder Fitnesstrends auf uns einströmen. Im Gegenteil: „Ayurvedische Ärzte haben schon vor 5.000 Jahren verstanden, dass jeder Mensch einzigartig ist, dass jeder von uns lernen kann und verstehen muss, was ihm in seiner Einzigartigkeit hilft und guttut.“ Und dabei helfen ayurvedische Ärzte. Sie generalisieren nicht, sondern schauen auf den Menschen in seiner ganz besonderen momentanen Situation.
Ein neuer Lebensstil
Vielleicht finden deswegen immer mehr Menschen den Weg zum Ayurveda, zu Suyogi Gessner? Babys, Frauen, die schwanger werden wollen, ältere und junge Menschen, Manager und Hausfrauen sitzen in ihrer Praxis. „Es sind alles Menschen, die nach Antworten suchen“, erklärt die Heilpraktikerin. „Manche sind frustriert und haben das Gefühl, mit ihnen stimmt etwas nicht, können es aber nicht benennen oder verstehen. Andere haben schwere oder chronische Erkrankungen, bei denen die Schulmedizin kapituliert.“
Eine chronische Erkrankung war es auch, die Suyogi Gessner zum Ayurveda brachte. Als junge Frau erkrankte sie, wie schon ihre Mutter und Großmutter, an Rheuma und sah sich einem Leben voller Schmerzen und Medikamente gegenüber. Doch das wollte sie nicht hinnehmen und flog nach Indien zu einem ayurvedischen Arzt namens Dr. Pankaj Naram. Er empfahl ihr, ihr Leben zu ändern. Und das tat sie. Mit einer anderen Ernährung und einem neuen Lebensstil gelang es ihr, die Krankheit zu stoppen. Nach zweieinhalb Jahren war sie völlig geheilt.
Damals hat Suyogi Gessner entschieden, ihren Beruf als Sozialpädagogin an den Nagel zu hängen. Sie blieb in Indien und lernte bei Dr. Naram von der Pike auf alles, was Vaidyas wissen und können. In der Klinik traf sie täglich auf 300 Patienten, um die Pulsdiagnose zu lernen. Im Kontakt mit zigtausend Menschen hat sie gelernt, wie man im Puls die Ungleichgewichte der drei Doshas ausmachen kann.
Vom Puls zu den Quellen der Gesundheit
Mit ihrem Wissen verblüfft sie heute jeden, der in ihre Praxis kommt. Anhand des Pulses erfühlt sie, was ihren Patienten fehlt. Und dann gibt sie alles, um ihre Patienten zu motivieren, etwas für sich und ihre Gesundheit zu tun. Denn mit der Einnahme von Medizin ist es nicht getan.
„Unser Körper ist ein Gefäß“, erklärt die Viadya, „wie ein Mülleimer, in den einfach alles hineingeschmissen wird: Gedanken, Stress, falsche Ernährung, ungesunder Schlaf, Beziehungsprobleme, unerfüllte Wünsche. All das lagert sich ab und muss verarbeitet werden. Wenn unser inneres Gefäß voll ist, gibt es eine Reaktion: eine Krankheit.“ Vaidyas wie Suyogi finden heraus, was an Müll da ist und wie wir ihn wieder loswerden können.
„Ich lerne immer dazu“, sagt die fröhliche 56-Jährige, die voller Lebensenergie strahlt, weil sie selbst praktiziert, was sie als Ärztin empfiehlt. „Ayurveda ist ein wahnsinnig komplexes und tiefes System aus Medizin, Behandlungen, Kräutern, Ausleitungen, Kuren, Ernährungslehre und Bewegung. All das ist für einen Laien überwältigend und für mich jedes Mal eine Entdeckungsreise zu den Quellen der Gesundheit.“