Sport mit Prothese

Serie: Sport unter besonderen Voraussetzungen – Teil 1

 

Martin Brehm arbeitet seit fast 25 Jahren im Sanitätshaus Klein in Dieburg. Seit 2003 übt der heute 43-Jährige die Funktion des Orthopädietechnikermeisters aus und leitet zudem die Abteilung Prothetik. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN sprach mit ihm über die Versorgung von Prothesenträgern und warum der Sport für sie so hilfreich sein kann.

Autor: Christian Sujata

Orthopädietechnikermeister Martin Brehm
(© Sanitätshaus Klein)

SAM: Herr Brehm, „Sport mit Prothese“ klingt zunächst wie ein Widerspruch. Ist dem so?

Martin Brehm: Nein, mit den meisten Prothesen ist es heutzutage möglich verschiedene Gehgeschwindigkeiten zu gehen. So kann man z. B. Wandern oder Nordic Walken. Das zähle ich definitiv schon als Sport. Aber auch Freizeitsport wie z. B. Tischtennis oder Rad fahren ist mit einer Alltagsprothese bei passender Gebrauchsschulung und Prothesentraining möglich. Mit entsprechenden Spezialprothesen können Prothesenträger heute auch joggen, rennen und springen. Einer unserer Kunden ist Paratriathlet und läuft Halbmarathon mit einer Unterschenkelprothese. Ein anderer spielt Tennis. Viele Kunden fahren Fahrrad oder gehen ins Fitnessstudio. Abgesehen davon, ist aufgrund des nachgewiesenen erhöhten Energieverbrauchs mit Prothese, quasi schon die Bewegung im Alltag Sport.

SAM: Ist der Wunsch nach Sport ein Thema bei Ihren Prothesenpatienten?

Martin Brehm: Ja, gerade junge Menschen, die wegen eines Unfalls oder einer Krebserkrankung ein Bein verlieren, und schon vor so einem einschneidenden Erlebnis sportlich waren, wollen häufig auch mit Prothese wieder sportlich aktiv werden. Man darf aber an dieser Stelle auch nicht die sportlichen Möglichkeiten ohne Prothese vergessen: Sitz(volley)ball, Yoga und Schwimmen zum Beispiel. Sport ist also so oder so wieder möglich.

Martin Brehms Patient Senaid beim
Kickboxen mit Prothese (© privat)

SAM: Betreuen Sie auch Menschen, die sehr intensiv Sport betreiben? Können Sie da ein oder zwei Beispiele und die entsprechende Versorgung nennen?

Martin Brehm: Wir betreuen hier beim Sanitätshaus Klein viele sportliche Menschen, die auch Freude an der Bewegung haben. Lisa beispielsweise ist beidseitig unterschenkelamputiert und geht gerne ins Fitnessstudio. Dort macht sie Krafttraining, unter anderem Kniebeugen mit der Langhantel. Zum Aufwärmen joggt sie auf dem Laufband. Versorgt ist sie dafür mit einer alltagstauglichen Sportprothese. Außerdem geht Sie reiten. Oder Dr. Chris Kolbeck, er ist Paratriathlet und bestreitet Wettkämpfe. Dazu nutzt er drei speziell konzipierte Prothesen: Eine, um vom Schwimmen zum Rad zu laufen, eine Radprothese und die Laufprothese mit Carbonfeder. Senaid wiederum betreibt seit Jahren intensiv Kickboxen und ist dort mittlerweile als Trainer aktiv.

SAM: Wie haben sich die Materialien im Laufe der Zeit verändert, damit solche Aktivitäten überhaupt möglich sind?

Martin Brehm: Es werden immer mehr Silikone und flexible oder sogar weiche Materialien in verschiedenen Shorehärten genutzt. Im Bereich der Stumpfbettungen hat sich eben durch diese Materialien viel getan. Man kann mit flexiblen Zonen arbeiten. Auch die Entwicklung im Bereich der Kniebandagen (Kniekappen), die für den Halt der Prothese eingesetzt werden, geht weiter. Auch hier wird es dünner und weniger bewegungseinschränkend.

Paratriathlet Dr. Chris Kolbeck mit
Laufprothese samt Carbonfeder beim
Wettkampf (© Dr. Chris Kolbeck)

SAM: Unterscheiden sich die Materialien von Spitzensportlern von denen Ihrer Patienten?

Martin Brehm: Nein, ein Schaft für Sportprothetik unterscheidet sich kaum von einem Alltagsschaft. Wichtig ist, dass er sehr gut passt. Die Konstruktion der Füße ist natürlich verschieden. Je nach Sportart wird nur eine c-förmige Lauffeder eingesetzt. Im Alltag ist ein Fuß mit Fersenfeder und damit größerer Standfläche von Vorteil. Viele Technologien aus der Sportversorgung werden von der Industrie für die Alltagsversorgung „heruntergebrochen“ und alltagstauglich gemacht.

SAM: Welche Rolle spielen mikroprozessgesteuerte Kniegelenke und Prothesenfüße?

Martin Brehm: In der Alltagsversorgung spielen diese eine große Rolle, weil diese Passteile dem Anwender eine große Sicherheit generieren und sich Dank der Sensorik sehr intuitiv beim Gehen anpassen. Durch diese Kombination können heute schon viele Bewegungsabläufe sehr physiologisch abgebildet werden. Für die Sportversorgung zum Laufen und Rennen spielen sie dagegen bisher keine Rolle. Hier sind mechanische Passteile in Verbindung mit den c-förmigen Carbonfedern vorteilhafter, schon aufgrund des leichteren Gewichtes. Ich betreue einen Jungen, der auch im Alltag meist die Sportprothese anzieht. Er ist damit einfach am schnellsten unterwegs und kann so besser mit der Geschwindigkeit der Gleichaltrigen mithalten. Die Benutzer der Sportfedern beschreiben oft, dass Sie die Stoßdämpfung und die spürbare Energierückgabe sehr schätzen.

SAM: Der Verlust eines Körperteils führt viele Menschen zunächst in ein Tief. Ist der Sport, das Mobilsein mit Prothese ein Mittel, um da wieder rauszufinden?

Martin Brehm: Natürlich, der Sport ist ein Ritual, um Stress abzubauen und gleichzeitig Selbstbewusstsein für die eigene Leistungsfähigkeit aufzubauen. Beispielsweise fünf Kilometer zu joggen und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, können ein Gefühl von Freiheit und zurückgewonnener Lebensqualität bedeuten. Aber auch die schmerzfreie Alltagsaktivität, mit einem handwerklich perfekt abgestimmten Hilfsmittel, fördert die Mobilität, Selbstbestimmung und die Integration ins gesellschaftliche Leben. Die Anwender wollen ja möglichst wenig an ihr Hilfsmittel im Alltag denken müssen.

Um dem natürlichen Bewegungsdrang
der Kinder gerecht zu werden, bietet sich
die Sportprothese an. (© privat)

SAM: Wie reagieren die Patienten eigentlich, wenn sie ihre ersten Schritte mit einer Prothese ausüben?

Martin Brehm: Viele stellen sich die ersten Schritte schmerzhaft vor. Und sie stellen sich viele fragen: Wie fühlt sich so ein Schaft an? Was muss ich machen? Wie weit kann ich laufen? Aber aus meiner Erfahrung kann ich berichten, dass der Stolz über die ersten Schritte im neuen Lebensabschnitt, bei den meisten überwiegt. Damit ist die Angst vor den Schmerzen auch schnell vergessen, sofern wir handwerklich einwandfrei gearbeitet haben. Natürlich ist begleitend immer eine Prothesengebrauchs- und Gehschule zu empfehlen.

SAM: Und wie lange dauert es bis ein Patient die Prothese in ihrer vollen Funktion angenommen hat, sprich: bis er in der Lage ist, damit auch wieder voll in den Sport einzusteigen?

Martin Brehm: Das kann man nicht pauschal beantworten. Zuerst muss der Alltag wieder funktionieren. Dann muss die Benutzung in „Fleisch und Blut“ übergehen. Und der Schaft, also die Stumpfbettung, muss makellos sein. Hier muss gerade im Alltag eine schmerzfreie und dauerhafte Belastung möglich sein, dann kann diese auch bis zum Sport gesteigert werden.

SAM: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Brehm!

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