Weniger ist mehr

Warum bewusster Verzicht bereichernd ist

 

Es gibt nur ein Mittel, sich wohl zu fühlen: Man muss lernen, mit dem Gegebenen zufrieden zu sein und nicht immer das verlangen, was gerade fehlt,“ meinte schon der Dichter und Schriftsteller Theodor Fontane im 19. Jahrhundert. Verzicht gilt seit der Antike als Tugend. Aber weder die alten Griechen noch Fontane ahnten, wie essenziell ein Weniger im 21. Jahrhunderts werden würde.

Autorin: Jana Pajonk

Wir leben im Überfluss

… im wahrsten Sinne des Wortes. Und das betrifft nicht nur die Informationsflut. Auch die Anzahl der Dinge, die wir jederzeit kaufen können, übertrifft das, was wir wirklich brauchen, um ein Vielfaches. In unseren Schränken, Wohnungen, Häusern und Leben häufen sich Dinge an, mit denen wir nichts mehr anfangen. Und was wir nicht horten, das schmeißen wir weg. Oft auch Sachen, die noch gut sind. Und so übertragen wir den Überfluss und die Überforderung auch auf unseren Planeten, der am Raubbau der Natur und an den Müllbergen ebenso zu ersticken droht wie wir an dem Zuviel an Informationen und Dingen.

Zugegeben, das ist ein sehr zugespitztes, düsteres Bild. Doch es trifft zu, auch wenn viele von uns nicht hinsehen wollen. Denn es ist bequem, einfach zu kaufen, einfach wegzuwerfen, einfach zu konsumieren. Wer heute anders leben, sich der Informationsflut entziehen und die Erde weniger belasten möchte, der muss schon einiges an Aufwand betreiben. Einen Brief zu schreiben kostet mehr Zeit, als eine schnelle WhatsApp-Nachricht zu senden. Den Fernseher oder das Tablet nicht anzuschalten ist anstrengender, als sich einfach berieseln zu lassen. Und doch gibt es immer mehr Menschen, die aus der Flut bewusst heraustreten. Dabei machen sie eine wichtige Erfahrung: Weniger ist mehr.

Mehr Zeit, mehr echte Begegnungen, mehr innere Ruhe

Da ist zum Bespiel Jan Rein, ein junger Mann aus dem hessischen Gießen. Im Alter von 25 Jahren entschloss er sich, ein Jahr lang komplett auf soziale Medien zu verzichten. Das ist etwas Bemerkenswertes, denn 90 Prozent der Menschen in diesem Alter sind regelmäßig in sozialen Netzwerken aktiv. „Es wird Zeit“, schreibt er auf seiner Website. „Ich will weniger häppchenweise Ablenkung und mehr Tiefe. Ich will weniger Angst, etwas zu verpassen. Und ich will wieder mehr Langeweile.“ In seinem Jahr ohne soziale Medien lernte Jan, dass es durchaus gut ist, etwas zu verpassen. So fressen weniger Dinge seine Zeit, die für ihn selbst nicht von Bedeutung sind oder ihn sogar belasten. Er habe mehr echte Kontakte und wirklichen Austausch erlebt. Auch vergleiche er sich nun weniger mit anderen und hätte mehr Zeit für sich.

Mehr Raum und Platz für Lebendigkeit

© istockphoto.com/AscentXmedia

Ganz radikal hat sich Joachim Klöckner dem Überfluss entzogen. Der Berliner, der einst wie die meisten von uns konsumierte, besitzt heute, mit Anfang 70, nur noch rund 50 Gegenstände. Sie passen in einen Rucksack, mit dem er durchs Land reist und Vorträge hält. „Wer weniger besitzt, wird umso weniger besessen“, schrieb mal der Philosoph Friedrich Nietzsche. Und tatsächlich geht es Joachim Klöckner offenbar sehr gut. Seine Erkenntnisse hat er in dem Buch „Der kleine Minimalist“ beschrieben.

„Wenig tote Gegenstände erlauben mir viel Zeit, Raum und Energie für Lebendiges!“, resümiert der Extremminimalist. Natürlich werden die wenigsten von uns ihren Hausrat auf 50 Dinge reduzieren. Aber allein die Tatsache, dass es in Deutschland seit ein paar Jahren immer mehr Menschen gibt, die als Aufräumberater ihren Lebensunterhalt bestreiten können, zeigt, dass es offenbar eine große Sehnsucht nach weniger Zeug in unserem Leben gibt und immer mehr Menschen mit der Vielzahl an Dingen überfordert sind.

Mehr Lebensqualität für die, die nach uns kommen

Spätestens seit weltweit Millionen von jungen Menschen für mehr Klimaschutz demonstrieren, sollte uns Erwachsenen klar sein, dass die junge Generation wirklich Angst um ihre Zukunft hat. Schon seit den 1970er-Jahren warnen Wissenschaftler vor den Folgen des Raubbaus an der Natur, den unsere moderne Welt mit ihrem enormen Ressourcenverbrauch betreibt. Doch erst seit eine 16-jährige Schülerin aus Schweden beschloss, freitags deswegen nicht mehr zur Schule zu gehen, hat das Thema die Aufmerksamkeit bekommen, die es dringend braucht. Und trotzdem tun wir uns schwer damit, auf die uns lieb gewonnene Bequemlichkeit, das immer neueste technische Gerät, den Flug in den Süden oder die in Plastik eingeschweißten Tomaten aus Südeuropa zu verzichten. Aber wenn wir uns einen Moment nehmen und die Folgen all dessen betrachten, können wir eigentlich nicht mehr ruhigen Gewissens so weitermachen.

Die gute Nachricht: Es tut nicht nur der Umwelt gut und denen, die nach uns kommen, wenn wir weniger konsumieren, kaufen und wegwerfen, sondern auch uns selbst. Denn wer sich weniger um das Managen von Dingen und das Chaos des Zuviels kümmern muss, der hat mehr Zeit für sich und seine Mitmenschen. Und letztendlich sind es Gefühle der Verbundenheit, Zeit in der Natur und eine gewisse innere Ruhe, die uns zufrieden und glücklich machen – und gesund erhalten. Wenn Sie also das nächste Mal vor den neusten Schnäppchen stehen oder im Internet verloren gehen, denken Sie doch mal dran: Weniger ist mehr!

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