Alt, allein – aber nicht einsam

Wege aus der Einsamkeit

 

Autorin: Jana Pajonk

In Deutschland leben immer mehr alte Menschen. Viele von ihnen sind nicht nur irgendwann allein, sondern auch einsam. Die Initiative Silbernetz hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Menschen eine Hand zu reichen und ihnen Wege aus der Einsamkeit aufzuzeigen.

© Elke Schilling/Silbernetz e.V.

Eveline Harder war 73 Jahre, als sie in ein tiefes Loch fiel. Das war 2015. Damals hatte sie in drei Jahren 18 Beerdigungen erlebt. „Alle Menschen um mich herum sind einfach weggestorben“, erinnert sich die heute 81-jährige Berlinerin. Alleinsein konnte Eveline Harder gut. Ihr Mann war bereits 1982 verstorben, Kinder hatten die beiden nicht. Doch die quirlige Frau war sehr umtriebig und hatte einen großen Freundeskreis. 2015 war dieser Kreis plötzlich weg – und Eveline Harder mit dem schrecklichen Gefühl der Einsamkeit konfrontiert. „Einsamkeit ist Leere“, erzählt sie, „innere und äußere Leere, ein schreckliches Gefühl und sehr schwer auszuhalten.“

Immer mehr einsame alte Menschen

Was es noch schlimmer macht, ist, dass die meisten Menschen mit diesem Gefühl ganz allein sind. Einsamkeit ist in unserer Gesellschaft der Millionen Möglichkeiten ein Tabu. Wer einsam ist, schämt sich eher und überspielt es, als dass er darüber spricht. Deswegen wissen wir auch nicht, wie viele Menschen es wirklich betrifft. Was wir wissen, ist, dass 22 Prozent der Menschen in Deutschland über 65 Jahre alt sind. Ihr Anteil hat sich seit 1950 (10 Prozent) mehr als verdoppelt. In den nächsten zehn Jahren wird sich dieser Anteil noch mal um ein Viertel erhöhen. Gleichzeitig gibt es kaum noch Menschen, die in mehreren Generationen zusammenleben. Wenn Kinder da sind, leben sie oft weit von ihren Eltern entfernt. Ab einem bestimmten Alter beginnen die Freundeskreise durch Tod zu schrumpfen. Und so wird sich das Problem der Einsamkeit im Alter noch verschärfen. Es ist also höchste Zeit, dass wir uns alle mit diesem Thema beschäftigen, dass wir es aus der dunklen Ecke holen und den Menschen, die es betrifft, die Hand reichen.

Eine Telefonnummer gegen die Einsamkeit

Eine solche Handreichung ist das Silbernetz, eine Initiative aus Berlin. Seit 2018 bahnt Silbernetz einsamen Menschen ab 60 Jahren Wege aus der Isolation. Anonym können sich Betroffene unter einer Telefonnummer melden und so die Einsamkeit durchbrechen. Oft ist diese Kontaktaufnahme der erste Schritt, der es ermöglicht, wieder persönliche Beziehungen aufzubauen. Dazu vermittelt Silbernetz zum Beispiel Telefonfreundschaften und gibt Informationen zu passenden Angeboten im Umfeld weiter. Eveline Harder ist von Anfang an dabei. Ihre Umtriebigkeit war es, die ihr aus dem tiefen Loch heraushalf. Denn sie war schon seit ihrer Rente ehrenamtlich aktiv. 2017 stellte Elke Schilling, die Initiatorin von Silbernetz, ihre Idee im Berliner Landesseniorenbeirat vor. Und Eveline Harder war sofort Feuer und Flamme. Als es 2018 losging, war sie eine der ersten, die in die Arbeit am Telefon mit zwei Bildschirmen und Headset eingeführt wurden. „Das war natürlich alles sehr neu und viel Technik für eine Frau in meinem Alter“, berichtet die Seniorin und fügt stolz hinzu: „aber es hat auf Anhieb geklappt.“ Heiligabend 2018 begann sie ihren ehrenamtlichen Dienst am Telefon für Silbernetz. Denn sie weiß aus eigener Erfahrung, dass die Einsamkeit an Feiertagen und insbesondere an Weihnachten am allerschlimmsten ist.

Kommunikation ist der Schlüssel

Obwohl das Angebot von Silbernetz eigentlich erst mal für Berliner Seniorinnen und Senioren gedacht war, kamen bereits im ersten Jahr erste Anrufe aus anderen Bundesländern. Und mit Corona stieg der Bedarf wegen der Isolation alter Menschen so rapide an, dass das Angebot bereits im März 2020 bundesweit geschaltet wurde. „Wir wurden von Anrufen regelrecht überschwemmt“, berichtet Eveline Harder. Doch es gab Unterstützung in Form von Spenden, die mit vielen Geräten die Arbeit von zu Hause aus ermöglicht hat. So konnten die Ehrenamtlichen an den Silbernetz-Telefonen viele Menschen wenigstens ein bisschen auffangen in dieser schweren Zeit.

Wenn Eveline Harder von ihrer Arbeit berichtet, bekommt man selbst Lust, für Silbernetz zu telefonieren. „Es ist so eine liebevolle Stimmung, dort im Büro“, schwärmt sie. Und sie nutzt das Angebot auch selbst. Sie habe einen Silbernetz-Freund, mit dem sie regelmäßig telefoniert. „Das sind ganz wunderbare Gespräche“, berichtet die 81-Jährige. „Wir sprechen über Filme, die wir gesehen haben, oder machen gedankliche Spaziergänge miteinander. Manchmal bereiten wir uns beide gezielt auf Themen vor, über die wir sprechen wollen. Männer haben zu einem Thema ganz andere Gedankenwege als Frauen. Das regt mich an, mal wieder anders über Dinge nachzudenken.“

Silbernetz-Freundschaften werden von der Initiative auf Wunsch vermittelt. Sie sind anonym. Es geht ums offene Ohr, ums Zuhören und Reden können und dass man anknüpfen kann. Üblicherweise verabreden sich Silbernetz-Freundinnen und -Freunde für eine Stunde Telefonat jede Woche.

Wer sich vorstellen kann, die Arbeit ehrenamtlich zu unterstützen, ist herzlich willkommen. Das Alter ist dabei völlig egal. Und einsame ältere Menschen möchte Eveline Harder sehr gern ermuntern, den ersten Schritt aus der Isolation zu tun und zum Hörer zu greifen. „Man plant doch keine Einsamkeit. Kein Mensch plant das!“, ruft sie, denn sie versteht sehr gut, wie plötzlich und tief einen die Einsamkeitserfahrung treffen und lähmen kann. Und sie weiß auch: „Kommunikation ist der Schlüssel. Sie hält jung und öffnet den Weg aus der Einsamkeit zurück ins Leben.“

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