Die Kraft der absoluten Ruhe

Warum wir die Stille in und um uns zurückerobern sollten

 

Autorin: Jana Pajonk

Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen zeigten im Mai 2021: Der ständige Stress, den der Lärm erzeugt, hemmt das Immunsystem von Vögeln. Diese haben außerdem Schwierigkeiten, das Singen zu lernen. Auch unsere Meere sind so lärmverschmutzt, dass die Lebewesen darin permanent gestresst sind und sich weniger gut orientieren können.

Krankheiten stehen im direkten Zusammenhang mit Lärm

© Imme de Haen

Seit Jahren warnen Gesundheitsorganisationen und die Wissenschaft: Lärm macht krank! Im August 2021 veröffentlichten dänische Forscherinnen und Forscher im British Medical Journal ihre Erkenntnis, dass 15 Prozent der Fälle von Demenz mit einem erhöhten Auto- und Eisenbahnlärm in Zusammenhang stehen. Bereits 2020 hat die Europäische Umweltagentur darauf hingewiesen, dass Lärm unsere Gesundheit gefährdet und bereits jeder fünfte Europäer unter einer entsprechenden Belastung leidet. Auch das Bundesumweltamt ist der Ansicht, dass Lärm eines der bedeutendsten Umweltprobleme ist. Schlafstörungen, Tinnitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen in einem direkten Zusammenhang. Und nun wissen wir: Lärm hat auch eine schädliche Wirkung auf unser Gehirn. Es ist alarmierend. Der ständige Lärm bedroht nicht nur unsere Lebensqualität, sondern auch unsere psychische und körperliche Gesundheit und die der Natur um uns herum. Was also können wir tun, um unsere Umwelt und unsere Gesundheit zu schützen?

Natürlich erst einmal alles, was in unserer Macht steht, um Lärm zu verringern. Das heißt zum Beispiel, weniger und langsamer Autofahren. Paris macht es vor und hat gerade flächendeckend Tempo 30 eingeführt, gleichzeitig werden die Flächen für ruhigeren Verkehr, also Fußgänger und Radfahrer erweitert. In ganz Frankreich gibt es seit Kurzem erste Lärmblitzer. Die Geräte mit Namen Méduse (dt.: Qualle) sollen künftig Autofahrerinnen und Autofahrer zur Kasse bitten, die zu laut fahren. Auch in Deutschland fangen erste Gemeinden an, schalltechnische Untersuchungen durchzuführen. Denn der Lärm auf den Straßen muss dringend sinken. Hilfreich ist es auch, weniger Produkte aus der Ferne zu kaufen. Denn der Transport – sowohl im Flugzeug als auch auf der Straße und auf dem Wasser – erzeugt neben Treibhausgasen und Schmutz enorm viel Lärm. Wälder und Wildnis müssen geschützt werden. Das hilft der Umwelt und uns selbst.

Ruhe um uns erleben

© Jana Pajonk

Und wir können selbst Oasen der Ruhe schaffen und diese gegen Lärm verteidigen. Eine Pionierin auf diesem Gebiet ist Imme de Haen. Seit knapp zehn Jahren betreibt die inzwischen über 80-Jährige zusammen mit ihrer Freundin Linda Amoulong den „Hof der Stille“ im Westhavelland in Brandenburg. Hier, inmitten weiter Natur, lädt sie Menschen dazu ein, Ruhe zu finden und Stille zu erfahren.

„Es war schon immer eine ganz tiefe Sehnsucht nach Ruhe in mir“, erzählt die Diplompädagogin. Als berufstätige Mutter von vier Kindern war daran in ihrem Leben oft nicht zu denken. Kleinere Oasen der Ruhe schaffte sie sich zum Beispiel beim Bügeln, berichtet Imme de Haen. Da gab sie sich der Sehnsucht hin, schaltete alles ab. „Wenn ich Ruhe habe, dann habe ich das Gefühl, ich bade in Stille. Da kann es gar nicht still genug sein.“ Um dieses Gefühl zu nähren, ihm Raum zu geben und vor allem, um mehr Menschen Stille zu ermöglichen, lebt sie heute auf einem Vierseitenhof am nordwestlichen Rand Brandenburgs. Vielleicht ist es das kleinste Seminarhaus Europas, in das sie mehrmals im Jahr Menschen zu Schweigewochen einlädt.

Die Ruhe in uns erwecken

© Imme de Haen

„Wir brauchen die Stille, um zur Ruhe zu finden“, erklärt Imme de Haen. „Die Stille hier auf dem Hof führt dazu, dass man sich verlangsamt und zur Ruhe kommt.“ Tiefe Ruhe ist die Gegenbewegung zum ständigen Lärm, der uns umgibt. „In dem Moment, wo wir diese Stille wahrnehmen können, werden wir innerlich ruhig“, erklärt de Haen. Dann können wir neue Kraft tanken und tief durchatmen. „Wenn wir die Ruhe in uns gefunden haben, kann uns nichts mehr umhauen.“ Und eine solche Ruhe stärkt unsere psychische und körperliche Gesundheit.

Dabei ist es gar nicht so leicht, sich auf eine Woche vollkommene Ruhe im Schweigen einzulassen. „Eigentlich läuft es stets gleich ab“, berichtet die Betreiberin vom Hof der Stille. „Am ersten Tag ist man verwundert, spätestens am zweiten Tag fragt man sich: Was soll ich hier eigentlich? Warum bin ich nicht ans Meer gefahren? Am dritten Tag lässt man sich ein – und dann wird es richtig schön.“

Einmal hat eine Teilnehmerin der Schweigewoche Vorher-Nachher-Fotos gemacht. „Nach einer Woche in Stille sahen alle aus, als hätten sie drei Wochen in einer Wellnessoase verbracht“, berichtet Imme de Haen freudig, „rosig, entspannt und mit einem Lächeln auf den Lippen. Dabei haben wir hier nur für sie gekocht, gemeinsam meditiert, sie waren in der Natur unterwegs – mit sich und uns in Stille.“ Imme de Haen ist selbst immer wieder verblüfft, wie viel in den Tagen der Ruhe geschieht. „Die Besucherinnen und Besucher kommen blass und erschöpft hier an und gehen gestärkt, getröstet und lächelnd nach Hause.“ Offenbar heißt es nicht umsonst: In der Ruhe liegt die Kraft.

Mehr über den Hof der Stille und die aktuellen Termine für Schweigewochen finden Sie unter: www.hofderstille.de

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