Mein Leben mit Lipödem
Selbstbestimmt und stark – Folge 2: Mein Leben mit Lipödem
Autorin: Carolin Sprott
Wenn ich heute zurückblicke, kann ich kaum glauben, welchen Weg ich in den letzten 15 Jahren gegangen bin. Mit Anfang 20 erhielt ich die Diagnose Lipödem – damals ein Begriff, von dem ich noch nie gehört hatte. Ich war einer der Glücksfälle, bei denen ein aufmerksamer Hausarzt die Symptome sofort erkannte und mich an die richtige Stelle überwies. Diese zügige Diagnose ist leider längst nicht allen Betroffenen vergönnt.

Anders als bei vielen beginnt meine Geschichte nicht mit einem jahrelangen Leidensweg vor der Diagnose. Erst als meine Arme zwei Jahre später ebenfalls betroffen waren, traf mich die volle emotionale Wucht der Erkrankung. Plötzlich war meine Krankheit für jeden sichtbar, und ich durchlebte eine Phase tiefer Verunsicherung. Die Perspektivlosigkeit, Heulkrämpfe und der faulige Atem einer drohenden Depression zwangen mich zum Handeln.
Meine Eigentherapie
Neben einer Kurzzeitpsychotherapie entwickelte ich für mich eine unkonventionelle Lösung: Ich begann, meine Kompressionsstrümpfe bewusst modisch in meine täglichen Outfits zu integrieren. Was zunächst wie eine oberflächliche Maßnahme wirken mag, wurde zu einer kraftvollen Eigentherapie. Mit jedem gelungenen Outfit wuchs mein Selbstbewusstsein. Die Kompression wurde von einem „Panzer“ zu meiner „Rüstung“ – ein subtiler, aber entscheidender Unterschied. Diese Erfahrung wollte ich teilen. Auf Anregung einer Freundin gründete ich 2015 den Blog „Lipödem Mode“, um anderen Betroffenen Mut zu machen. Was als bescheidenes Projekt begann, wuchs schnell: Vorträge folgten, Kooperationen mit Herstellern wie medi entstanden, ein Podcast wurde ins Leben gerufen, und schließlich eröffnete ich einen Onlineshop für gutes Selbstmanagement.
Aufklärung auf Augenhöhe
Von Anfang an war mein Ziel klar: Informationen über das Lipödem sollten für alle zugänglich sein – verständlich, praktisch und frei von medizinischem Fachchinesisch. Diese Mission gipfelte im Oktober 2023 in meinem ersten Buch „Diagnose Lipödem? Du bist nicht allein!“. Als Autorin toure ich seitdem mit Lesungen durch den gesamten deutschsprachigen Raum, durch verschiedenste Sanitätshäuser als wichtige Veranstaltungsorte. Diese direkte Begegnung mit Betroffenen ist für mich unbezahlbar – und für viele Sanitätshäuser eine Chance, sich als kompetente Anlaufstelle zu positionieren. Für viele Betroffene ein Vorbild, begleite ich sie durch alle Phasen – von der ersten Verunsicherung nach der Diagnose über praktische Alltagsfragen bis hin zu komplexen Therapieentscheidungen. Dabei ist mir wichtig: Die Erkrankung sollte uns nicht definieren. Wir sind so viel mehr als unser Lipödem.
Der Schlüssel: Kommunikation

Was ich in all den Jahren gelernt habe: Die größten Hürden entstehen oft durch mangelnde Kommunikation. Viele Betroffene fühlen sich nach der Diagnose allein gelassen, überfordert von Fachbegriffen und unsicher über die nächsten Schritte. Hier sehe ich eine bedeutende Aufgabe für Sanitätshäuser – als erste Anlaufstelle nach der Diagnose können sie den Unterschied machen zwischen Verunsicherung und Ermutigung.
Wenn Versorgungsteams verständlich erklären und praktische Tipps geben, legen sie den Grundstein für eine erfolgreiche Therapie. Denn eine Patientin, die versteht, warum sie etwas tun soll, wird es mit größerer Wahrscheinlichkeit umsetzen.
Heute, nach zahllosen Veranstaltungen, Lesungen und Gesprächen, bin ich überzeugt: Wir können ein erfülltes Leben mit Lipödem führen. Nicht trotz der Erkrankung, sondern mit ihr. Die Herausforderungen machen uns stärker – wenn wir den Mut haben, sie anzunehmen und unseren eigenen Weg zu finden.