Grenzenlos mobil
Wie Hilfsmittel, Dienstleistungen und Designs Barrieren sprengen
Anhand eines barrierefreien Reiseveranstalters und der Abteilung Neurorehabilitation eines Sanitätshauses berichtet das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN, wie moderne Hilfsmittel und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Dienstleistungen die Mobilität sowie Lebensfreude bei gehandicapten Menschen rapide verbessern. Zudem erfahren Sie, warum Mobilitätshelfer nicht bloß zweckmäßig sein müssen, sondern auch schicke Hingucker sein können.
Autor: Christian Sujata
Bereits schon jetzt ist jeder vierte Deutsche über 60 Jahre alt. Bis zum Jahr 2050 wird der Anteil auf über ein Drittel steigen. Damit das Älterwerden als gewonnene Lebensjahre empfunden wird, ist eine möglichst uneingeschränkte und individuelle Mobilität bis ins hohe Alter notwendig. Gleiches gilt für die Mobilität von Menschen mit altersunabhängigen Einschränkungen zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder einem Unfall. Falls Sie oder einer Ihrer Angehörigen einer dieser beiden Gruppen angehören, werden Sie wissen: Eine Verbesserung der Mobilitätsmöglichkeiten sorgt für Unabhängigkeit und garantiert, weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Heute profitieren die Betroffenen mehr denn je von einer rasanten positiven Entwicklung in diesem Bereich, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Interview
„Für jedes Bedürfnis die passende Unterkunft“
Der Veranstalter RUNA REISEN hat sich darauf spezialisiert, barrierefreie Reisen für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen anzubieten. Wie es zu der Idee kam, was es mit den Angeboten genau auf sich hat und wie sich die Barrierefreiheit in den verschiedenen Ländern unterscheidet, erzählt Gründer sowie Geschäftsführer Karl B. Bock im Interview mit dem SAM.
SAM: Herr Bock, Sie sind Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von RUNA REISEN, einem barrierefreien Reiseveranstalter. Können Sie uns ein paar Sätze dazu sagen, was dies bedeutet?
Karl B. Bock: Wir haben uns als Reiseveranstalter darauf spezialisiert, Reisen anzubieten, die keinerlei Barrieren für Menschen mit Behinderungen aufweisen. Egal, ob es sich um Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte, Sehbehinderte oder auch geistig Behinderte handelt. Es gibt allerdings nur wenige Unterkünfte am Markt, die es schaffen, den Ansprüchen aller Behinderungen gerecht zu werden. Wir legen zwar den Fokus darauf, Menschen mit allen Handicaps Unterkünfte anbieten zu können, bekommen aber hauptsächlich Anfragen von Menschen mit Rollstuhl oder einer Gehbehinderung.
SAM: Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen?
Karl B. Bock: Ich bin gelernter Hotelfachmann und habe zudem Diplom-Kaufmann für Tourismus in Wilhelmshaven studiert. Dort habe ich meinen jetzigen Kompagnon kennengelernt und schon während des Studiums haben wir damit angefangen, Marketingkonzepte für Regionen und Orte an der Nordseeküste zu erstellen. 2004 sind wir dann von einer Gemeinde in Ostfriesland beauftragt worden, deren Barrierefreiheit in den Vordergrund zu stellen, damit die Menschen einen Grund haben, auch dortzubleiben und nicht nur durchzureisen. Bei unserer Recherchearbeit haben wir erstaunt festgestellt, dass der Bereich barrierefreier Tourismus bisher kaum beackert wurde und dass es gleichzeitig eine riesige Nachfrage dafür gibt. Aus einer Bierlaune heraus haben wir dann gemeinsam mit einem dritten Studenten beschlossen, selbst Veranstalter in diesem Bereich zu werden. Anschließend haben wir einen Businessplan geschrieben, an Wettbewerben teilgenommen und nebenbei viel Kopfschütteln geerntet, da die Leute der Meinung waren, dass dies niemals erfolgreich werden könnte, da der Zielgruppe nicht die nötigen finanziellen Mittel zum Verreisen zur Verfügung stehen. Doch 2006 war es so weit. Zurück in unserer Heimat in Ostwestfalen haben wir RUNA REISEN gegründet und konnten unsere Kritiker mittlerweile eines Besseren belehren.
SAM: Rollstuhlfahrer ist nicht gleich Rollstuhlfahrer, Behinderungen, Rollstuhlart und auch die individuellen Bedürfnisse an Komfort sowie Barrierefreiheit dürften sich sehr unterscheiden. Wie schaffen Sie es, dass Sie jedem auch die tatsächlich für ihn geeigneten Begebenheiten anbieten können?
Karl B. Bock: Damit Interessenten selbst bereits zu Anfang direkt sehen können, ob eine Unterkunft an ihrem Wunschziel auch die Barrierefreiheit bietet, die sie benötigen bzw. sich wünschen, haben wir in unserem Katalog und auf unserer Website Piktogramme eingefügt. Diese Piktogramme geben auf den ersten Blick unter anderem Auskunft darüber, wie breit die Durchgänge oder Türen vor Ort sind, ob es einen oder zwei Haltegriffe am WC gibt, welche Art von Duschstuhl vorhanden ist, ob ein Pflegebett da ist oder ob das Zimmer eine Verbindungstür zum Nachbarzimmer des pflegenden Mitreisenden hat. Anhand des Piktogrammsystems und unserer Hilfsmittelmatrix treffen die Kunden bereits selbst eine Vorabauswahl. An dieser Stelle kommen übrigens auch die Sanitätshäuser ins Spiel, mit denen wir an jedem Ort im Vorfeld sprechen und deren Infos bspw. über Hilfsmittelmietkosten sowie -mietdauer, Anlieferung u. v. m. wir ebenfalls mit in unseren Katalog aufnehmen. Haben unsere Kunden also eine erste Wahl getroffen, geht es weiter mit unserem geschulten Personal. In einem Gespräch werden dann detaillierte Zusatzinfos über das Krankheitsbild sowie die genauen Einschränkungen aufgenommen und wir wissen am Ende, welche Unterkünfte tatsächlich noch infrage kommen und alle individuellen Bedürfnisse erfüllen, damit wir am Ende die wirklich passende Unterkunft empfehlen können.
SAM: Sie bieten ja Reisen in alle möglichen Länder an. Unterscheidet sich die barrierefreie Infrastruktur von Land zu Land?
Karl B. Bock: Ja, für uns ist ganz klar Spanien die Nummer eins unter den erefreien Urlaubsländern, wo in den letzten Jahren sehr viel gemacht wurde. In vielen spanischen Urlaubsorten wie Mallorca oder Teneriffa ist es bspw. seit vielen Jahren Standard, dass man einen Strandrollstuhl mit Ballonreifen aus Plastik erhalten kann – und das für den Nutzer komplett kostenlos von den Kommunen finanziert. Die Rettungsschwimmer dort sind darauf sensibilisiert, den Nutzern beim Umsteigen zu helfen. Der Rollstuhlfahrer kann dann mit dem Modell sogar ins Meer reinfahren und damit schwimmen, damit er sich erst im Wasser davon lösen muss, um selbst zu schwimmen. In Deutschland wird damit erst jetzt, rund zehn Jahre später angefangen. Deutschland hat dafür wiederum die Nase vorn, was abgesenkte Bordsteine angeht, aber es gibt hier in diesem Bereich noch viel Nachholbedarf.
SAM: Arbeiten Sie mit Experten aus dem Gesundheitsbereich zusammen?
Karl B. Bock: Neben den bereits erwähnten Sanitätshäusern arbeiten wir mit ambulanten Pflegekräften in den Urlaubsorten im In- und Ausland zusammen. Besonders im Bereich Pflegehotels. Das sind in der Regel ganz normale Kliniken oder Pflegeresidenzen, die einen Teil ihrer Fläche auch touristisch vermieten und den Gästen das vorhandene Pflegepersonal zur Verfügung stellen. Ein Bereich, der gerade sehr im Wachsen ist.
SAM: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Mehr über RUNA REISEN erfahren Sie auf der Internetseite: www.runa-reisen.de
Wer sich zu Hause um einen pflegebedürftigen Menschen kümmert, braucht Urlaub. Damit pflegebedürftige Angehörige in dieser Zeit weiter zu Hause gepflegt werden können, gibt es die Möglichkeit, Ersatzpflege (Verhinderungspflege) bei der Pflegekasse zu beanspruchen. Dafür gibt es jedes Jahr Extra-Geld. Damit das fließt, müssen Sie aber einiges beachten:
* Die Pflegekasse übernimmt nachgewiesene Kosten der Verhinderungspflege (Ersatzpflege) für maximal sechs Wochen pro Jahr.
* Voraussetzung ist, dass jemand bereits sechs Monate vorher zu Hause gepflegt wurde.
* Zu dem Zeitpunkt, an dem Betroffene die Verhinderungspflege in Anspruch nehmen wollen, müssen sie mindestens den Pflegegrad 2 haben.
* Die Pflegekasse übernimmt Kosten bis zu 1.612 Euro, falls die Verhinderungspflege von einem Pflegedienst oder “Nicht-Verwandten” übernommen wird.
* Wenn die Ersatzpflege von Personen übernommen wird, die mit dem Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft wohnen oder bis zum 2. Grad mit ihm verwandt oder verschwägert sind, gibt es weniger Geld.
* Das Pflegegeld wird während der Verhinderungspflege mindestens zur Hälfte weitergezahlt.
* Wer mehr Geld braucht, kann auch bis zu 806,- Euro von der Kurzzeitpflege verwenden.