„Eine Prothese, mit der ich mich zu 100 Prozent verwirklichen kann.“

Doppelinterview mit Orthopädietechnikermeister Martin Brehm und Christina Schneider

 

Martin Brehm arbeitet seit rund 20 Jahren im Sanitätshaus Klein in Dieburg. Seit 2003 übt der heute 40-jährige die Funktion des Orthopädietechnikermeisters aus. Im Sommer 2016 trat die 23-jährige Christina Schneider mit dem Wunsch nach einer neuen, auf ihre individuellen Bedürfnisse besser ausgerichteten Beinprothese auf ihn zu. Mit einer Videodokumentation und Veröffentlichungen in ihren gut frequentierten sozialen Netzwerken dokumentierte Sie dabei jeden einzelnen Schritt, vom Gipsabdruck bis zur Anprobe. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN sprach mit beiden über die harmonische Zusammenarbeit.

Interviews: Christian Sujata

Interview mit Christina Schneider

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Christina, Sie sind sehr aktiv und präsent auf Ihren sozialen Kanälen bei Instagram, Facebook und Youtube. Schaut man sich da um, sieht man eine junge, attraktive, sehr sportliche und selbstbewusste Frau. Waren Sie schon immer so selbstsicher oder hat sich das erst entwickelt?

© Andre Franck, Bamberg

Christina Schneider: Nein, das hat bei mir ganze 23 Jahre gedauert. Im September 2015 habe ich zum ersten Mal ein Trainingsvideo veröffentlicht, in dem meine Prothese ganz deutlich zu sehen ist. Das war für mich wirklich ein großer Schritt, der mich sehr viel Überwindung gekostet hat. Besonders in meiner Jugend habe ich immer versucht, mein Handicap zu verstecken. Vor allem in der Pubertät will man ja nicht auffallen: Ich trug im Sommer lange, weite Hosen, habe mir jedes Mal eine Ausrede einfallen lassen, um nicht mit meinen Freunden ins Schwimmbad zu gehen und war im Sportunterricht regelmäßig krank. Erst durch den Sport habe ich gemerkt, dass ich doch nicht so „anders“ bin und mich nicht mehr verstecken muss. Letztendlich hat doch jeder sein „Handicap“ – bei den einen sieht man es eben auf den ersten Blick, bei den anderen erst auf den zweiten.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Ihr linkes Bein ist seit der Geburt um 15 cm verkürzt. Wie war das in Ihrer Kindheit mit dieser Einschränkung, wie haben Ihre Altersgenossen darauf reagiert?

Christina Schneider: Als Kind war die Behinderung kein Problem für mich. In dem Alter habe ich das noch gar nicht so sehr als Handicap wahrgenommen, sondern habe beispielsweise im Schulsport einfach so gut mitgemacht, wie es ging. Meine Klassenkameraden hatten daher nie ein Problem mit meiner Prothese – sie haben mich ja so kennengelernt. Da Kinder meistens unvoreingenommen, direkt und neugierig sind, habe ich statt auf blöde Sprüche, viel mehr auf neugierige Fragen antworten müssen. Natürlich hatte ich nicht immer Lust, darüber zu sprechen. Aber direkte Fragen waren mir bereits als Kind immer lieber als die unangenehmen Blicke der Fremden.

© Andre Franck, Bamberg

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Sie sind heute eine regelrechte Sportskanone. Wann fing das mit dem Sport bei Ihnen an?

Christina Schneider: Meine Leidenschaft zum Sport habe ich erst sehr spät für mich entdeckt. Vor allem den Schulsport habe ich regelrecht gehasst, da ich mich meinen Freunden aufgrund meiner Prothese immer unterlegen gefühlt habe. Vor circa drei Jahren habe ich mich dann aber trotzdem im Fitnessstudio angemeldet, da ich abnehmen wollte. Nachdem ich in den typischen Bauch-Beine-Po-Kursen kaum Einschränkungen hatte, hat mich letztendlich auch der Kraftsport gereizt. Ich wollte herausfinden, was trotz Prothese alles möglich ist. Dass der Gang ins Fitnessstudio jedoch meine tägliche kleine „Therapie“ wird, bei der ich mich „normal“ fühlen, mich auspowern und abschalten kann, hätte ich niemals gedacht.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Welche Sportarten betreiben Sie?

© Andre Franck, Bamberg

Christina Schneider: Neben meinem beinahe täglichen Gang ins Fitnessstudio gehe ich regelmäßig Joggen, im Winter Snowboarden und wenn sich die Gelegenheit ergibt auch sehr gerne Reiten.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Wie und wann haben Sie beschlossen, die bisherige Prothese durch eine Sportprothese auszutauschen?

Christina Schneider: Ich muss zugeben, dass ich mich noch nicht lange mit den verschiedenen Möglichkeiten von Prothesen auseinandergesetzt habe. Früher war mir immer die Kosmetik am wichtigsten, damit ich die Prothese verstecken kann. Was für Alternativen es an Sportprothesen überhaupt gibt, habe ich erst bei meinem ersten Besuch im Sanitätshaus Klein im Sommer letzten Jahres erfahren. Ein Training ohne Sorge, ob die Prothese der Belastung standhält, hatte für mich oberste Priorität. Da ist es sogar mir dann plötzlich egal, wie die Kosmetik der Prothese aussieht.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem Sanitätshaus Klein und Orthopädietechnikermeister Martin Brehm?

© Andre Franck, Bamberg

Christina Schneider: Als ich Martin das erste Mal getroffen habe, hatte ich sofort das Gefühl, dass ich in besten Händen bin. Er hat mit so einer Leidenschaft und Hingabe die perfekte Prothese für mich geschaffen. Eine Prothese, mit der ich nicht nur endlich meinen Kraftsport ohne Einschränkungen ausleben kann, sondern mit der ich sogar anschließend noch eine Runde aufs Laufband kann. Ich habe endlich einen Techniker gefunden, der mir eine Prothese baut, mit der ich mich zu 100 Prozent verwirklichen kann.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Wie hat sich Ihr Leben mit der neuen Sportprothese geändert?

Christina Schneider: Den Moment, das erste Mal in meinem Leben so richtig losrennen zu können, werde ich niemals vergessen. Die Erinnerungen rühren mich noch heute zu Tränen und sind für Nichtbetroffene vermutlich kaum nachvollziehbar. Vor allem war es ein großer Schritt für mich, die neue Sportprothese auch in der Öffentlichkeit zu tragen. Verstecken geht jetzt wirklich nicht mehr, aber warum auch? Ich habe ein ganz neues Lebensgefühl bekommen, da sind mir die paar neugierigen Blicke mittlerweile egal. Mein Selbstbewusstsein und vor allem mein Selbstwertgefühl haben sich um einiges verbessert und ich fange sogar an, meine Prothese als stylisches Accessoire anzusehen.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: In den sozialen Medien gehen Sie offen mit Ihrem Handicap und dem Leben mit einer Prothese um. Damit möchten Sie auch andere motivieren und dabei unterstützen, Hemmungen abzubauen. Hat das geklappt? Wie ist das Feedback auf Ihre Veröffentlichungen?

Christina Schneider: Das Feedback ist bis auf ein paar Ausnahmen wirklich sehr positiv. Mittlerweile bekomme ich sogar regelmäßig Nachrichten, wie ich es geschafft habe so offen mit dem Thema umzugehen. Das freut mich wirklich unglaublich, denn genau aus diesem Grund mache ich das ganze ja öffentlich. Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und Gleichgesinnten helfen, besser mit ihrem Handicap umgehen zu können. Da ich mich lange genug selbst eingeschränkt, ausgegrenzt und mir im Weg stand, habe ich mittlerweile ein Motto, an welches ich mich täglich erinnere: „Your only limit is YOU.“

Wer sich selbst ein Bild über Christina und ihrem „neuen“ Leben mit der Sportprothese verschaffen will, kann ihr in den sozialen Netzwerken folgen:
Instagram: www.instagram.com/christina.pro.sthetics
Facebook: www.facebook.com/ChristinaProsthetics
Christinas Videodokumentation über ihre Zusammenarbeit mit Martin Brehm und die Herstellung ihrer neuen Sportprothese, finden Sie auf Youtube:
Meine neue Prothese – Teil 1: https://youtu.be/i5x5swq-4wI
Meine neue Prothese – Teil 2: https://youtu.be/zoxaQrxCpvo

 

Interview mit Martin Brehm

Martin Brehm (r. u.) und Team (© Sanitätshaus Klein)

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Martin Brehm, wie kam es zu dem Kontakt mit Christina Schneider und bei ihr zu dem Wunsch ihre bisherige Prothese auszutauschen?

Martin Brehm: Christina wurde durch einen anderen Anwender, der eine Unterschenkelprothese trägt und sportlich sehr aktiv ist, auf uns aufmerksam. So entstand der Kontakt und sie reiste im August 2016 das erste Mal zu uns zum Kennenlernen sowie zur Versorgungsbesprechung. Christina brauchte einfach eine neue Prothese, da die vorhandene Versorgung schon einige Jahre alt, verschlissen und nicht mehr passgerecht war. Außerdem wollte Sie nach unserem ersten Gespräch wagen, ihre Prothese nicht mehr zu verstecken. So entstand das Konzept mit dem Cheetah Xplore und einem weitenregulierbaren Schaft. Auf den Schuh auf der versorgten Seite sollte verzichtet werden, um Gewicht zu sparen und Bauhöhe für das Fußpassteil zu gewinnen.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Um was für eine Prothese handelt es sich genau und worin unterscheidet sie sich zu der bisherigen?

Martin Brehm: Bisher hatte Christina nur sehr einfache Fußpassteile ohne Carbonelemente aufgrund des kosmetischen Aspektes und der zur Verfügung stehenden Bauhöhe. Dabei handelt es sich um einen Carbonfederfuß, der hinten am Schaft befestigt wird. Der Hauptnutzen des Fußes besteht in der signifikant höheren Energierückgabe bei erhöhter Energieaufnahme. Zusätzlich ist durch das großbogige C-förmige Design eine hohe Stoßdämpfung gewährleistet. Je länger und härter die Carbonfeder ist, desto dynamischer und kraftvoller wird das Laufgefühl für den Anwender. Mit einem speziellen Aufbaukonzept, leichter Vorspannung der Carbonfeder (,,Blade”) im Grundaufbau – ähnlich der Hubanordnung eines Stoßdämpfers beim Mountainbike – wird eine besondere Dynamik erzeugt. Schaft und Fuß in der schwarzen Carbonoptik gefallen Christina so gut, dass sie die Prothese jetzt schon als modisches Accessoire bezeichnet.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Gab es bei Christina für die Anfertigung Besonderheiten zu beachten?

Martin Brehm: Christina ist mit einer Dysmelie, eine angeborene Fehlbildung des Unterschenkels, geboren. Aufgrund ihrer Beinform, mussten beim statischen und dynamischen Prothesenaufbau ein paar Tricks angewendet werden, um für sie das Optimum aus der Versorgung herauszuholen.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Welche Schritte folgten für die Erstellung dieser Prothese?

Martin Brehm: Erst erfolgten der Gipsabdruck und die Positivmodellherstellung. Dann wurde ein Innenschaft aus Polsterschaumstoff, danach in mehreren Phasen der Carbonschaft mit dem integrierten Boa-System angefertigt. Das Boa-System dient zum Verschließen der Prothese und zur Justierung der Weite. Christina war sehr am Herstellungsprozess interessiert und so haben wir sie während der Herstellung regelmäßig per E-Mail mit Bildmaterial über den aktuellen Stand informiert. Nachdem Innen- und Carbonschaft angefertigt waren, wurde der Carbonfederfuß hinten mit dem Schaft mit einem speziellen Kleber befestigt. Während der Anprobe musste diese Klebeverbindung noch einige Male gelöst werden, bis die perfekte Einstellung der Prothese erreicht war.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Wie wird die Prothese angelegt?

Martin Brehm: Christina zieht zuerst einen Strumpf an und schlüpft danach in den weichen Innenschaft. Dann steigt sie in den Carbonschaft und verschließt diesen mittels eines Drehknopfes.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Wann durfte Christina das erste Mal Laufübungen damit machen?

Martin Brehm: Christina konnte nach dem ersten Anprobetermin kaum erwarten mit der Prothese richtig zu rennen. Sie spürte damals bereits sehr genau die Federung und die Power. Während der Anprobe testeten wir auch immer wieder kraftsportspezifische Bewegungen wie Kreuzheben oder Kniebeugen, um zum Beispiel die Bewegungsfreiheit des Knies zu kontrollieren oder den Stand des Fußes zu optimieren. Am 31. Oktober durfte Christina dann das erste Mal Laufübungen mit der Prothese machen. Es war ein tolles Erlebnis für alle Beteiligten! Wer die Videos (siehe Infobox) sieht, wird verstehen weshalb!

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Christina treibt jede Menge Sport. Inwieweit ist das mit diesen Prothesen möglich, wo sind die Grenzen?

Martin Brehm: Nachdem sich Christina als Naturtalent im Laufen gezeigt hat, und Sie
mittlerweile auch im Besitz einer reinen Rennprothese ist, fällt mir für sie im Moment keine Grenze ein. Natürlich muss man den ganzen Körper langsam an die Belastungen beim Laufen gewöhnen. Christina hat unheimlich viel Willen, Ehrgeiz und Leidenschaft, um mit der neuen Prothese noch sehr viel im Sport zu erreichen.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Sie hat die Erstellung der Prothese mit einem Video begleitet. Was haben Sie zunächst über die Idee gedacht?

Martin Brehm: Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie dies macht und unsere ganze Mannschaft war vom Ergebnis total begeistert. So manche Kollegin hat mit Christina eine Träne mit vergossen. Die wenigsten Menschen wissen ja, was ein Orthopädietechniker so macht und wie eine Prothese entsteht. So ist der Film ein toller Zusammenschnitt auch über unsere Arbeit
mit dem Anwender und in der Werkstatt.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Das zweiteilige Video hat auf Youtube bereits über 38.000(!) Klicks erreicht. Wie kommt es, dass sich so viele Menschen für diese Thematik interessieren?

Martin Brehm: Christina ist ja sehr aktiv als Bloggerin auf Facebook und Instagram. Sie transportiert im Video eine große Begeisterung und Freude. Ich denke so hat sich das Video schnell verteilt und wurde oft angeschaut. Bei den Fotoshootings mit der neuen Prothese sind zudem tolle Bilder entstanden, wie man auf Instagram sehen kann.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Welche Rückmeldungen haben Sie bekommen?

Martin Brehm: Viele meiner Kollegen, Freunde und Familienangehörige haben das Video gesehen und sind total begeistert!

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Herlichen Dank für das Gespräch!

Mehr über das Sanitätshaus mit dem Lächeln erfahren Sie aufg der Seite: www.sani-klein.de

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