Gesundheit 4.0

Digitale Revolution in den Sanitätshäusern

 

Die Digitalisierung schreitet voran. Auch im Gesundheitssektor. Und nicht zuletzt in der Sanitätshausbranche, wo die ersten Unternehmen damit begonnen haben, bei der Patientenversorgung auf eine Kombination aus traditionellem Handwerk, moderner Technik und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu setzen. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN sprach mit zwei innovativen Machern aus den Sanitätshäusern mit dem Lächeln, die sich dem digitalen Wandel gestellt haben, und wagt einen Blick in die sich weiter verändernde Gesundheitswelt.

Autor: Christian Sujata

In immer mehr Bereichen eines jeden Einzelnen spielt die Digitalisierung eine zunehmend große Rolle. Sowohl im Privatleben als auch in der Arbeitswelt. Natürlich ist auch die Gesundheitsbranche davon betroffen. Bisher noch sehr zögerlich, wird sich die Gesundheitswelt innerhalb weniger Jahre diesbezüglich drastisch ändern. Schon jetzt nutzen Millionen Menschen immer ausgereiftere Smartphones, Apps sowie Gesundheits- und Fitnessarmbänder. Diese ermöglichen es, die eigene Gesundheit zu überwachen, Puls, Blutdruck, Körperfett- und Herzwerte zu erfassen sowie Daten an den Arzt zu senden. Krankenkassen setzen auf die elektronische Gesundheitskarte, die einen sektorund facharztübergreifenden Austausch von Patienteninformationen ermöglichen, zudem aber auch die Patientensouveränität durch mehr Behandlungstransparenz stärken soll. Online lassen sich bereits Termine bei Ärzten vergeben und Medikamente bei Apotheken vorbestellen.

Digitalisierung soll Lebenserwartung verlängern

Der Übertritt ins digitale Zeitalter steht damit allerdings noch ganz am Anfang. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sieht jeder zweite Mediziner bereits in zehn Jahren Operationsroboter im alltäglichen Einsatz. Immerhin jeder fünfte Arzt geht davon aus, dass die Medikamenteneinnahme und -abgabe dann durch unter die Haut implantierte Mikrochips erfolgt. Jeder Dritte ist der Meinung, dass die Digitalisierung die Lebenserwartung der Menschen verlängern wird. Und 80 (!) Prozent der befragten Mediziner sind der Ansicht, dass im Jahr 2030 Prothesen und Implantate standardmäßig oder vereinzelt im 3D-Druckverfahren hergestellt werden.

Versorgung in hoher und reproduzierbarer Qualität

An dieser Stelle kommen die Sanitätshäuser mit ihren Orthopädiewerkstätten und Fachleuten ins Spiel. Vereinzelt ist die Zukunft dort schon in der Gegenwart angekommen. Einige besonders mutige und innovative Sanitätshausunternehmer haben es gewagt, bereits einen Schritt voraus zu sein und von analogen zu präzisen digitalen Produktionstechnologien überzugehen. Und dies zum großen Vorteil der Patienten, die dadurch noch schneller ihre Versorgung in gewohnt hoher und reproduzierbarer Qualität erhalten. Mit zwei dieser besonderen Macher – Gernot Gebauer vom reha team Bayreuth und Gerd Klinz vom Sanitätshaus Klinz – hat das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN über den Einsatz von 3D-Technologie und die Digitalisierung in der Sanitätshauswelt gesprochen.

 

„Die Digitalisierung schafft Zeit und Freiräume, sich noch mehr um den Patienten kümmern zu können“

Interview mit Gernot Gebauer

Gebauer ist Geschäftsführer des reha teams Bayreuth, das mit seinen 14 Filialen in 13 Städten in ganz Nordbayern für kompetente, freundliche Beratung und Betreuung rund um Orthopädietechnik, Pflege- sowie Alltagshilfen, Mobilität, Kompressionstherapie und Prothesenversorgung sorgt.

Gernot Gebauer (g. r.) u. a. im Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2. v. l.) im Kompetenzzentrum (© reha team Bayreuth Gesundheits-Technik GmbH)

 

SAM: Man sieht Sie auf einem aktuellen Foto in einem Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier. Wann, wie und warum kam es dazu?

Gernot Gebauer
(© reha team Bayreuth Gesundheits-Technik GmbH)

Gernot Gebauer: Herr Steinmeier hat das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk in Bayreuth besucht. Bei dieser Gelegenheit konnten sich dort zwei Unternehmen präsentieren. Eines davon waren wir mit der additiven Fertigung, also dem Fräsen oder dem 3D-Druck beispielsweise von Einlagen. Darüber habe ich mich mit dem Bundespräsidenten kurz unterhalten können.

SAM: Bevor wir auf diese moderne Art der Fertigung eingehen, können Sie uns kurz beschreiben, wie der klassische Ablauf war?

Gernot Gebauer: Wir befinden uns ja gerade mitten im Prozess von der analogen Fertigung hin zur teildigitalisierten bis zur volldigitalisierten Fertigung. Der klassische Ablauf ist folgender: Der Patient erhält bei seinem Arzt eine Diagnose und anschließend eine Einlagenverordnung, mit der er ins Sanitätshaus geht. Dort wird für die Erstellung des Abdrucks in den wenigsten Fällen der Fuß des Patienten eingegipst. In den meisten Fällen tritt er in einen Trittschaum. So entsteht ein Negativ des Fußes, mit dem der Orthopädiemechaniker oder der Orthopädieschuhtechniker weiterarbeiten und die benötigte Einlage erstellen kann. In diesem Abdruck sind alle für ihn wichtigen Punkte erfasst, also beispielsweise, wo das Gewölbe oder wo die Pelotte anzusetzen sind. Das Hilfsmittel wird dann auf herkömmliche, handwerkliche Weise individuell für den Patienten und unter Berücksichtigung der ärztlichen Anordnung sowie der darin angegebenen Spezifikationen (Supination, Pronation usw.) angefertigt. Anschließend wird die Einlage am Patienten überprüft und auf Wunsch in seine Schuhe eingepasst.

SAM: Und wie sieht das bei der teil- und volldigitalisierten Fertigung aus?

Gernot Gebauer: Bei der teildigitalisierten Variante kommt der Patient wie bisher mit der Verordnung ins Sanitätshaus. Anders als wie oben beschrieben, führt man mit ihm anhand eines Touchscreens erst mal eine Anamnese (die professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen, Anm. d. Red.) durch. Zusätzlich machen wir eine dynamische Fußdruckmessung, indem der Patient über eine Fußdruckmessplatte läuft, sodass wir sehen können, wie er auftritt und wo eine Fehlfunktion ist. Anschließend stellt sich der Patient auf einen Scanner. Dieser ersetzt den bisherigen Trittschaum und liefert den Abdruck gleich in einer digitalisierten Form. Am Touchscreen gehen wir dann gemeinsam alles durch, beispielsweise in welche Schuhe (Sportschuhe, Arbeitsschuhe etc.) die Einlage soll, und berücksichtigen dies bei der Herstellung. Als Ergebnis haben wir am Ende einen Ausdruck, in dem alle wichtigen Punkte vermerkt sind, die bei der Herstellung zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus liefert diese Variante zusätzlich sofort die Information, welche Zuzahlung der Patient entrichten muss. Das Ganze unterschreibt der Kunde dann als Auftrag. In unserer EDV wird der Abdruck dann modelliert. Bis hierhin sprechen wir von der teildigitalisierten Variante, weil der Auftrag ab diesem Zeitpunkt auch auf klassische handwerkliche Weise angefertigt werden kann. Im volldigitalisierten Fall geht der Auftrag nicht an den Handwerker, sondern wird an eine CNC-Fräsmaschine oder an den 3D-Drucker übermittelt. Dort wird das Hilfsmittel dann auf digitale Weise hergestellt.

SAM: Was ist der größte Vorteil, der durch die digitale Fertigung entsteht?

Gernot Gebauer: In unserer Branche herrscht ein akuter Fachkräftemangel. Dadurch haben wir das große Problem, dass die vorhandenen Fachleute viel zu viel Zeit in der Produktion verbringen, sinnvoller wäre es, einen Teil dieser Zeit in die Arbeit direkt am Kunden zu investieren. Mit dem digitalen Fortschritt wird niemand wegrationalisiert. Wir schaffen stattdessen Zeit und Freiräume für den geschulten Mitarbeiter, um sich noch mehr um den Patienten kümmern zu können.

SAM: Wie haben Ihre Patienten dieses moderne Verfahren bisher aufgenommen?

Gernot Gebauer: Die meisten haben sich sehr positiv geäußert und sich über diese überfällige Änderung auf dem aktuellen Stand der Technik gefreut. Aber es gab auch ein paar wenige Menschen, die zunächst noch Vorbehalte und Angst vor dem Neuen hatten, die wir ihnen schnell nehmen konnten.

SAM: Kommen wir noch mal zum bereits erwähnten Kompetenzzentrum Digitales Handwerk. Wie darf man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?

Gernot Gebauer: Derzeit gibt es über die Handwerkskammern bundesweit nur zwei Kompetenzzentren Digitales Handwerk im Bereich 3D-Druck. Eines davon bei uns in Bayreuth. Und dieses hat uns sehr unterstützt, als wir den „Digitalbonus Bayern Plus“ (Zuschuss von bis zu 50.000 Euro des Bayrischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Energie und Technologie für Maßnahmen mit besonderem Innovationsgehalt, Anm. d. Red.) beantragt haben. In unserem Fall ging es um eine Zuwendung in Höhe von 25.000 Euro. Die Zusammenarbeit ist darüber hinaus bis heute wichtig für uns, da wir mit dem Kompetenzzentrum der Handwerkskammer eine ständige Beratungsanlaufstelle direkt vor Ort haben. Bei der Beratung des Kompetenzzentrums geht es grundsätzlich darum, dass das Handwerk auf den notwendigen, aktuellen Stand der Technik gebracht wird. Egal, ob es sich dabei um einen Bäcker, eine Brauerei oder wie bei uns um ein Sanitätshaus handelt.

SAM: Welche weiteren Auswirkungen hatte die Digitalisierung in den vergangenen Jahren auf Ihr Unternehmen?

Gernot Gebauer: Die Digitalisierung ist bei uns auch in der Administration an der Tagesordnung. So arbeiten wir in den Sanitätshäusern schon länger mit einem elektronischen Kostenvoranschlag (EKV), der mithilfe einer Branchensoftware (ERP-Lösung) erstellt und online direkt an die jeweilige Krankenkasse geschickt wird. Außerdem arbeiten wir zunehmend papierlos, beispielsweise sind alle Scans nur noch digital und nicht mehr auf Papier hinterlegt. Auch die Warenwirtschaft wird gerade umgestellt. Ab nächstem Jahr bestellen wir alle Produkte aus unserem ERP-System, in dem sämtliche Einkaufspreise hinterlegt sind sowie alle Rechnungen und Lieferscheine eingepflegt werden. Durch einen Abgleich der Preise kann ich dann auch feststellen, ob eine Preiserhöhung stattgefunden hat.

SAM: Es gibt den Spruch: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Gilt das auch für die Umstellung auf die Digitalisierung?

Gernot Gebauer: Ja, denn es ist auf jeden Fall der richtige, wichtige Schritt in die Zukunft. Nehmen wir beispielweise den Orthopädietechnikbereich. Dort wird sich in den nächsten fünf Jahren ein Paradigmenwechsel vollziehen. Die Fertigungsprozesse in der Orthopädietechnik, wie wir sie einmal gelernt haben, werden dann nahezu nicht mehr existieren.

SAM: Herzlichen Dank!

Mehr über das Sanitätshaus mit dem Lächeln erfahren Sie au der Seite: www.rehateam-bayreuth.de

 

Hier geht’s zum zweiten Interview mit Gerd Klinz vom Sanitätshaus Klinz

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