Hilfsmittelversorgungen –

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Das Persönliche Budget: Hilfsmittelversorgungen selbst „einkaufen“!

 

Immer mehr gesetzliche Krankenkassen schreiben medizinische Hilfsmittel wie Rollstühle, Badewannenlifter, Pflegebetten, Inkontinenzhilfen und Ähnliches aus. Dies hat zur Folge, dass behinderte Menschen nicht mehr die Hilfsmittelversorgung von dem Sanitätshaus ihres Vertrauens erhalten, sondern an den jeweiligen exklusiven Vertragspartner der Krankenkasse (Ausschreibungssieger) verwiesen werden, der dann die Hilfsmittelversorgung durchführt. Ist der behinderte Mensch auf verschiedene Hilfsmittel angewiesen, wird er es auch mit unterschiedlichen Hilfsmittelversorgern (Ausschreibungssiegern) zu tun haben. Viele Betroffene stört dieser Eingriff in ihre Selbstbestimmung. Sie möchten das oder die Hilfsmittel – wie bisher – von dem Sanitätshaus ihrer Wahl beziehen. Mit Einführung des Persönlichen Budgets hat der Gesetzgeber behinderten Menschen die Möglichkeit eröffnet, auch die Hilfsmittelversorgung selbst zu organisieren. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN hat über dieses Thema mit Anja Faber-Drygala, Juristin bei der Sanitätshaus Aktuell AG, gesprochen.

SAM: Seit 2008 haben Menschen mit Behinderungen einen Rechtsanspruch auf das Persönliche Budget. Dennoch ist diese Art der Leistungsgewährung noch relativ unbekannt. Frau Faber-Drygala, was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Faber-Drygala: Nach den Vorschriften des SGB V haben gesetzlich versicherte Personen einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich, also medizinisch notwendig sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Grundsätzlich gilt im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung das sog. Sachleistungsprinzip. Dies bedeutet, dass der oder die Versicherte von seiner/ihrer Krankenkasse die benötigte Hilfsmittelversorgung in Natur gestellt bekommt. Die Krankenkassen führen natürlich die Hilfsmittelversorgung nicht selbst aus, sondern beauftragen Hilfsmittelversorger wie Sanitätshäuser, damit diese die Hilfsmittelversorgung auf Kosten der Krankenkassen vornehmen. Daher können Versicherte auch nur Hilfsmittelversorger wählen, die einen Versorgungsvertrag (Leistungsvereinbarung) mit der zuständigen Krankenkasse abgeschlossen haben, der die Modalitäten der Hilfsmittelerbringung regelt (siehe hierzu Schaubild 1). Das ist beim Persönlichen Budget anders. Hier erhält der Versicherte eine Geldleistung (Geldbetrag oder in begründeten Einzelfällen auch Gutscheine), mit der er sich die Hilfsmittelversorgung selbst „einkaufen“ kann. Er beauftragt selbst einen Leistungserbringer zur Hilfsmittelversorgung und bestimmt die Modalitäten der Hilfsmittelversorgung in einer eigenen Vereinbarung mit dem Hilfsmittelerbringer (Sanitätshaus) (siehe hierzu Schaubild 2).

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SAM: Das persönliche Budget wurde somit eingeführt, damit der Versicherte eigenverantwortlich entscheiden kann, wann, wo, wie und von wem er die Hilfsmittelversorgung erhält?

Faber-Drygala: Das ist richtig. Der Gesetzgeber möchte den betroffenen Versicherten die Möglichkeit geben, als „Experte in eigener Angelegenheit“ selbst zu bestimmen, welche Hilfen für sie am besten sind und welcher Versorger ihnen zur Seite stehen soll.

SAM: Gibt es das Persönliche Budget nur für Hilfsmittelversorgungen?

Faber-Drygala: Nein, das Persönliche Budget können Menschen mit Behinderungen von allen Leistungsträgern beanspruchen, die Leistungen zur medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation und Teilhabe stellen müssen. Das können auch die Pflegekassen, die Rentenversicherungsträger, der Unfallversicherungsträger, die Sozialhilfeträger, das Integrationsamt sowie die Agentur für Arbeit sein. Deshalb ist das persönliche Budget auch im Sozialgesetzbuch 9 (hier in § 29) normiert. Das Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) regelt leistungsträgerübergreifend den Rechtsanspruch auf Unterstützung, damit Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Möglichkeiten haben sollen wie Menschen ohne Behinderung. Die Hilfsmittelversorgung ist nur ein Teilbereich, für den das Persönliche Budget in Anspruch genommen werden kann. Wenn zum Beispiel ein gehörloser Student an einer Vorlesung teilnehmen möchte, kann er aufgrund des SGB IX einen Gebärdensprachdolmetscher gestellt bekommen oder eben sich diesen selbst beauftragen und aus dem Persönlichen Budget bezahlen. Das Gleiche gilt für Assistenzleistungen, die z. B. ein behinderter Mensch benötigt, um einzukaufen oder in ein Konzert oder Kino zu gehen.

SAM: Kommen wir zurück zur Hilfsmittelversorgung. Können Versicherte sich alle Hilfsmittelversorgungen über das Persönliche Budget selbst „einkaufen“?

Faber-Drygala: Nach § 29 Abs. 1 SGB IX sind Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen budgetfähig, die sich auf alltägliche und wiederkehrende Bedarfe beziehen und als Geldleistung erbracht werden können. Nach der Begründung des Gesetzes sollen ein gelegentlicher oder kurzfristiger Hilfsbedarf sowie einmalige Leistungen ausgeschlossen sein. Es ist allgemein anerkannt, dass Versicherte das Persönliche Budget für den Bezug von zum Verbrauch bestimmte Hilfsmittel wie Inkontinenzhilfsmittel oder Stomahilfsmittel und die damit verbundenen Beratungs- und Dienstleistungen verwenden können. Allerdings halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass auch das Persönliche Budget zum Bezug von Gebrauchshilfsmitteln wie Rollstühlen, Pflegebetten u. Ä. beansprucht werden kann. Denn diese Hilfsmittel werden in der Regel auch im Rahmen des Sachleistungsprinzips (siehe Schaubild 1) vom Leistungserbringer angemietet und dem Versicherten leihweise zur Verfügung gestellt. Auch hier erfolgt keine „Einmalleistung“, sondern eine zeitlich begrenzte wiederkehrende „Dauerleistung“. Warum sollte sich der betroffene Versicherte das Gebrauchshilfsmittel sich nicht selbst anmieten und die Miete aus seinem Persönlichen Budget entrichten dürfen?

SAM: Was ist zu tun, um das Persönliche Budget zu erhalten?

Faber-Drygala: Um das Persönliche Budget zu erhalten, muss dieses zunächst beantragt werden. Den Antrag kann jeder behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Mensch selbst, und zwar unabhängig vom Grad seiner Behinderung, sowie sein gesetzlicher Betreuer/Vertreter (z. B. Eltern von behinderten Kindern) stellen.

SAM: Wie läuft das Antragsverfahren ab?

Faber-Drygala: Zur Antragstellung ist ein möglicher Leistungsträger (z. B. Krankenkasse) aufzusuchen. Dieser klärt dann seine Zuständigkeit. Bei Unzuständigkeit leitet er den Antrag an den zuständigen Leistungsträger weiter. Werden Leistungen von mehr als einem Leistungsträger (z. B. Krankenkasse und Pflegekasse) benötigt, so spricht man von einem trägerübergreifenden Persönlichen Budget. Auch dieses kann man zentral bei einem der infrage kommenden Leistungsträger beantragen, der dann als „Beauftragter“ der anderen Leistungsträger für den behinderten Menschen zum zentralen Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Persönliche Budget wird. Die Rehabilitationsträger haben zudem in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt eine gemeinsame Servicestelle eingerichtet. Dort kann man ebenfalls einen Antrag auf Leistungen in Form des Persönlichen Budgets stellen. Im Internet finden Sie Informationen zu den gemeinsamen Servicestellen unter: www.reha-servicestellen.de

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SAM: Was geschieht nach Antragstellung?

Faber-Drygala: Nach dem Antrag erfolgt das Bedarfsfeststellungsverfahren. Im Rahmen des Bedarfsfeststellungverfahrens wird mit dem Antragsteller/der Antragstellerin besprochen, welche Leistungen in Form des Persönlichen Budgets erbracht werden können. Der behinderte Mensch kann eine Person seines Vertrauens als Unterstützer mitbringen. Sobald der jeweilige Bedarf von dem oder den jeweiligen Leistungsträger/-n festgestellt ist, schließen die leistungsberechtigte Person und der Leistungsträger (bei mehreren Leistungsträger der „Beauftragte”) eine Zielvereinbarung. In dieser wird geregelt, welche Leistungen mit welcher Zielsetzung über das Persönliche Budget abgedeckt werden können. Weiterhin werden dort Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Nachweisführung über die erhaltenen Leistungen geregelt. Die Leistungs- und Kostenträger möchten nämlich verhindern, dass das Persönliche Budget von den Antragstellern für andere Dinge als für die benötigten Rehabilitationsleistungen verwendet wird. Der Antragsteller erhält im Anschluss einen Bescheid, in dem die Einzelheiten und insbesondere die Höhe des bewilligten Persönlichen Budgets geregelt sind. Dieser Bescheid ist rechtsmittelfähig. Ist der Budgetnehmer mit dem Inhalt das Bescheids nicht einverstanden, kann er kann gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen und klagen. Es besteht auch zu jeder Zeit die Möglichkeit für den Budgetnehmer, wieder zur Sachleistung zurückzukehren.

SAM: Kommen wir zur wichtigsten Frage: Wie hoch ist das Persönliche Budget?

Faber-Drygala: Das ist sehr unterschiedlich. Die Höhe des Persönlichen Budgets richtet sich nach dem individuellen Bedarf des Antragstellers. Allerdings soll das Budget die Kosten, die der oder die Leistungsträger im Rahmen des Sachleistungsprinzips für vergleichbare Leistungen aufwenden, nicht überschreiten. Insofern orientiert sich die Höhe des Persönlichen Budgets für die Beschaffung von Hilfsmitteln an den Verträgen, die die zuständige Krankenkasse mit den Hilfsmittelversorgern abgeschlossen hat. In der Regel wird das Persönliche Budget monatlich ausbezahlt, damit der Budgetnehmer die benötigten Produkte oder Hilfestellungen rechtzeitig eigenständig besorgen kann. Aber auch andere Auszahlungsmodalitäten sind je nach Leistungsartund Bedarf möglich.

SAM: Herzlichen Dank für die ausführlichen Imnformationen!

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