Prothetik: „Für viele Patientinnen und Patienten fängt ein zweites Leben an!“

Eine Amputation verändert alles. Doch Mobilität und Lebensqualität sind damit nicht verloren

 

Autorin: Susanne Hoffmann

Es ist ein großer Schock für die Patientin oder den Patienten, der die Nachricht einer zwingend notwendigen Amputation erhält. Die Ursachen können vielfältig sein, wie Infektionen, Durchblutungsstörungen, Vergiftungen oder Tumore. Zum Glück gibt es Menschen wie Prof. Dr. Dr. Frank Traub, Leiter der Tumororthopädie im Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, und Sascha Becker, Orthopädietechniker im Sanitätshaus Lammert Scherer in Mainz, die alles dafür tun, dass Betroffene ihre Mobilität zurückerhalten und wieder aktiv am Leben teilnehmen können. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN hat mit beiden Experten gesprochen.

SAM: Herr Prof. Dr. Traub, was macht ein Tumororthopäde?

Prof. Dr. Dr. Frank Traub: Ich bin Spezialist für Tumore, die in Knochen oder Muskeln entstehen oder die von anderen Organen in die Knochen gestreut haben und dann versorgt werden müssen. Da Knochenkrebs sehr selten vorkommt, gibt es entsprechend wenige spezialisierte Tumororthopädinnen oder -orthopäden.

SAM: Muss bei Knochenkrebs häufig amputiert werden?

Prof. Dr. Dr. Frank Traub: Mein Ziel ist: nicht amputieren! Aber es lässt sich nicht immer vermeiden und dann kann ich sagen, dass ich, aber auch das gesamte Team, uns besonders viel Mühe geben. Eine Amputation setzt ein hohes Maß an operativem Können und Erfahrung voraus. Ich sehe leider immer wieder Patientinnen oder Patienten, bei denen eine mangelhafte Amputation durchgeführt wurde. Das kann sich dann sehr negativ auf den Genesungsprozess der oder des Betroffenen auswirken, die oder der ja so schon körperlich und psychisch unter diesem schwerwiegenden Eingriff leidet und erst mal massiv an Lebensqualität einbüßt. Wenn es dann aber keine Aussicht auf Verbesserung gibt, sondern eher die Tendenz hin zur Verschlechterung, ist das fatal.

SAM: Was machen Sie anders?

Prof. Dr. Dr. Frank Traub: Zum einen ist eine hohe fachliche Kompetenz beim Amputieren vorhanden – übrigens haben wir dieser Tage erstmals eine Patientin mit einer Endo-Exo-Prothese in Mainz versorgt – zum anderen bieten wir der Patientin oder dem Patienten, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen, eine engmaschige und umfangreiche Betreuung.

© Sanitätshaus Lammert Scherer

SAM: Mit Sascha Becker haben Sie einen erfahrenen Orthopädietechnikmeister an der Hand, der seit vielen Jahren in der Prothetik arbeitet. Herr Becker, der Weg ist kurz, denn Ihr Arbeitsort ist die Niederlassung des Sanitätshauses Conradt Scherer auf dem Gelände der Mainzer Uniklinik.

Sascha Becker: Genau, das ist Teamarbeit, die absolut notwendig für das Patientenwohl ist. Ich versuche bereits vor der Operation mit der Patientin oder dem Patienten zu sprechen, Zweifel aus dem Weg zu räumen und Ängste zu mildern.

Jede Amputation ist individuell. Prof. Traub operiert ja nicht nur bei der Diagnose Knochentumor, sondern z. B. nach einem Verkehrs- oder Sportunfall oder Diabetes. Immer ist unser Ziel, allen, besonders auch jungen Menschen, ihre Perspektiven und die Entwicklungsschritte aufzuzeigen.

SAM: Wie sieht die Nachsorge durch das Sanitätshaus aus?

Sascha Becker: Nach der OP bekommt die Patientin oder der Patient eine Kompressionsversorgung: Der Stumpf wird gewickelt und mit Kompressionsstümpfen behandelt. In der Reha erhält sie oder er von mir eine Interimsversorgung, denn der Stumpf kann sich in dieser Zeit vom Volumen noch verändern, und nach ca. sechs Monaten die Definitivprothese, die ich exakt auf ihre oder seine Bedürfnisse abstimme. Dafür suchen wir gemeinsam die Passteile aus einem Riesenportfolio, was Material, aber auch Verbindungsvarianten und kosmetische Verkleidung anbelangt, aus.

SAM: Wie lange kann die Patientin oder der Patient diese Prothese tragen?

Sascha Becker: Der Schaft muss alle zwei Jahre ausgetauscht werden. Die Verbindungen ersetzen wir meist nach ca. fünf Jahren. Denn die Patientin oder der Patient verändert sich, vielleicht hat sie oder er neue Ziele oder wechselt ihr oder sein Arbeits- oder Wohnumfeld. Außerdem entwickelt sich die Orthopädietechnik stets weiter, wovon die Patientin oder der Patient profitieren sollte.

SAM: Prof. Traub, lassen Sie uns noch kurz über Ihr geplantes Schwerpunktzentrum an der Mainzer Uniklinik reden.

Prof. Dr. Dr. Frank Traub: Wir wollen zum Fachzentrum für das Rhein-Main-Gebiet werden. Alle Amputationen an den oberen und unteren Extremitäten sollen von mir und einem Team spezialisierter Kolleginnen und Kollegen durchgeführt werden. Bereits vor der OP sollen sich die Patientin oder der Patient sowie die Angehörigen gut beraten und betreut fühlen durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Schmerztherapeutinnen und -therapeuten, Orthopädietechnik, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Anginologinnen und Anginologen, dem Sozialdienst und spezialisierten Rehakliniken. Unser Ziel ist, dass sie mindestens vier Wochen in der Reha bleiben, um intensiv therapiert werden zu können. Mit der Amputation beginnt für viele ein zweites Leben, für das wir die bestmöglichen Voraussetzungen schaffen wollen.

SAM: Herzlichen Dank Ihnen beiden für das Gespräch!

Das Sanitätshaus Conradt Scherer in Mainz wurde 2008 gegründet und beschäftigt heute 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an drei Standorten. Seit dem 1. Juli 2021 gehören auch die sechs Sanitätshäuser Lammert mit 65 weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dazu. Geschäftsführer ist Stephan Völker. Mehr über das Sanitätshaus mit dem Lächeln erfahren Sie hier:

www.conradt-scherer.de

facebook.com/conradt.scherer

 

© Sanitätshaus Aktuell AG, © Sebastian Messerschmidt

Mehr über Amputationsverfahren und Prothesenversorgung können bei Rollstuhl, Orthese & Co. hören, dem neuen Gesundheitspodcast mit dem Lächeln. In der September-Folge sprechen Prof. Dr. Traub, Sascha Becker und ein Patient mit Beinprothese ausführlich über das Thema.

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