Ausflug und Reise

Fernweh kennt keine Barrieren

 

Jürgen Geider sitzt seit über vier Jahrzehnten im Rollstuhl. Seit dieser Zeit entwickelt er Rollstühle sowie andere Hilfsmittel und half damit sich und anderen Betroffenen mobil am Leben teilzunehmen. Bis heute ist er als Produktspezialist und Ideengeber für das Unternehmen Sunrise Medical tätig. Er war außerdem einer der ersten, die in Deutschland Rollstuhltennis populär machten und große Turniere veranstalteten. Als Schnellfahrspezialist nahm er zudem an den Paralympischen Spielen 1984 in New York teil. Im Interview mit dem SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN erzählt er von seinem Schicksalsschlag, seinem daraus resultierenden beruflichen Werdegang und auf welche Hilfsmittel er bei seinen vielen Reisen setzt.

Autor: Christian Sujata

„Das Fahren auf dem Liegebike ist pure Lebensfreude“

© Jürgen Geider

SAM: Herr Geider, erzählen Sie uns doch mal ein bisschen zu Ihrer Person?

Jürgen Geider: Gerne! Ich sitze seit 1975 im Rollstuhl. Damals, ich war gerade 17, war ich als Beifahrer in einen schweren Autounfall involviert und trug als Folge eine Querschnittslähmung davon. In der anschließenden Reha in der Nähe von Heidelberg habe ich direkt mit dem Rollstuhlsport angefangen. Oder das, was man vor über 40 Jahren so nannte, denn Sportrollstühle, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Gemeinsam mit Erol Maklein, den ich in der Rehaklinik kennenlernte, merkte ich, dass wir zwar viel für unseren Körper tun können, aber dass man unbedingt am Equipment arbeiten muss. Wir setzten uns also in den Kopf, ein möglichst schickes und funktionales Fortbewegungsmittel zu konstruieren, und haben dies zunächst durch eigene einfache Änderungen an den Standardrollstühlen vorgenommen. Doch unsere Möglichkeiten waren noch begrenzt. Das änderte sich Ende der 70er-Jahre, als die Herren Hugo Sorg und Erich Purkhart von der Firma Sopur in unserem Verein ein neuartiges Rollengerät vorstellten, das man mit seinem Rollstuhl als Hometrainer nutzen konnte. In vielen Gesprächen haben wir den beiden dann unsere Ideen und Vorstellungen für Sportrollstühle nähergebracht, die diese dann zu unserer Überraschung auch mit uns umsetzen wollten. Mein Leben hat sich durch meinen Unfall in eine völlig andere Richtung entwickelt. Er war für mich Schicksalsschlag und Neubeginn zugleich.

SAM: Wie ging es dann weiter?

Jürgen Geider: Als wir mit den ersten eigenen Modellen zahlreiche Wettkämpfe gewinnen konnten, interessierten sich nach und nach auch andere Rollstuhlsportler dafür. Unsere Geschäftsidee zündete rasch. Auf die ersten Modelle folgten Schnellfahrrollstühle und Basketballrollstühle. Als sich auch diese gut verkauften, konzentrierten wir uns als Nächstes auf die immer noch unpraktischen Alltagsrollstühle. Anfang der 80er-Jahre brachten wir auch in diesem Bereich unser erstes Modell auf den Markt. Der daraus resultierende Erfolg ließ unsere Fünf-Personen-Garagenfirma explodieren und auf erst 30, dann 60 Mitarbeiter wachsen. Wir waren dann die ersten, die ihre Rollstühle farbig beschichtet haben, weil wir uns dachten: Ein Stuhl muss passen, aber genauso auch gefallen. Bis dahin war es üblich, dass sich der Nutzer an den Stuhl anpasst. Unsere Herangehensweise war dagegen, dass sich der Stuhl an den Nutzer anpasst.

SAM: Blieb es bei den Rollstühlen?

Jürgen Geider: Nein, im Laufe der Zeit haben wir viele andere Mobilitätshilfsmittel entwickelt und produziert, darunter Handbikes, Andockfahrräder und Liegefahrräder. In den letzten Jahren rückte zudem das Thema Elektromobilität auch bei uns immer mehr in den Fokus.

SAM: Das sind alles Hilfsmittel, die viel auf Reisen genutzt werden. Bei Ihnen auch?

Jürgen Geider: Natürlich. Ich reise sehr viel und versuche ständig neue Orte kennenzulernen. Wenn ich beispielsweise einmal im Jahr für zwei Wochen ins Trainingslager nach Lanzarote aufbreche, ist mein Liegefahrrad mit an Bord. Das gibt man bei der Fluggesellschaft genauso auf wie andere ihr Mountainbike. Mit dabei ist auf Reisen auch mein Hybrid-Andockfahrrad, das besonders einfach zu verladen ist und vor Ort dann kinderleicht an meinen Rollstuhl angedockt werden kann. Erst vor wenigen Wochen sind meine Frau (auf dem normalen Fahrrad) und ich damit am Gardasee von Ort zu Ort gesaust und haben uns die wunderschöne Gegend dort angeschaut. Da können bei uns auch schon mal Tagestouren draus werden.

SAM: Was ist das für ein Gefühl, mit einem Liegefahrrad unterwegs zu sein?

Jürgen Geider: Vor meinem Unfall bin ich nach der Arbeit regelmäßig Rennrad gefahren, um mich körperlich auszupowern. Ein ähnlich großartiges Gefühl, also den Fahrtwind ins Gesicht zu bekommen, die Geschwindigkeit zu erleben und den Körper zu spüren, bekomme ich heutzutage auf dem Liegefahrrad. Und ich fahre bei jeder Temperatur. Der Rollstuhl ist nach 44 Jahren ein natürlicher Teil meines Lebens geworden. Aber das Fahren auf dem Liegebike ist Glücksgefühl und Lebensfreude pur. Wenn ich damit losfahre, habe ich sofort ein Lächeln im Gesicht!

SAM: Worauf achten Sie bei Hilfsmitteln, die Sie auf Reisen begleiten, besonders?

Jürgen Geider: Wenn Ihnen ihr Fahrrad auf Reisen kaputt geht, dann können Sie in den nächstbesten Radladen gehen, eine Reparatur durchführen lassen oder sich ein Ersatzrad geben lassen. Wenn mir aber mein Rollstuhl oder ein Hilfsmittelfahrrad kaputt gehen, sieht die Sache schon komplizierter aus. Deshalb ist für mich das Wichtigste die Produktzuverlässigkeit. Bei einem Rollstuhl achte ich zudem darauf, dass er nicht zu breit ist. Mein Rollstuhl hat eine Gesamtbreite von „nur“ 52 Zentimetern, dadurch passt er auch durch Eingänge und Türen, die keine optimale Barrierefreiheit aufweisen. Ein idealer Reisebegleiter ist auch ein Modell, das faltbar ist und dessen Fußraster für den Transport abnehmbar sind.

SAM: Wagen Sie eine Prognose, wie sich Mobilitätshilfsmittel weiterentwickeln?

Jürgen Geider: Insbesondere Elektrorollstühle werden sich enorm weiterentwickeln. Gleiches gilt für Zusatzantriebe, die man an normale Rollstühle anbringen kann. Noch sind diese meiner Meinung nach viel zu schwer. Bei der Gewichtsreduktion sehe ich großes Potenzial. Auch der 3D-Druck wird zukünftig eine noch größere Rolle spielen. In der Orthopädietechnik ist man da schon sehr weit, aber warum sollen nicht auch mal moderne Rollstühle mit diesem Verfahren hergestellt werden? Und schließlich wird sich auch beim Material noch eine Menge tun. Angefangen haben wir bei Rollstühlen mit schwerem Stahl. Dann sind wir zu leichterem Aluminium übergegangen. Mittlerweile sind wir beim noch leichteren Carbon angelangt. Und das alles bei gleichbleibender Stabilität. In all den genannten Bereichen werden Entwicklungen stattfinden, über die wir heute nicht mal zu denken wagen. Und das ist gut so, denn Stillstand bedeutet Rückschritt.

SAM: Ein schönes Schlusswort. Herzlichen Dank für das Gespräch!

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