Palliativmedizin

Leben bis zum letzten Augenblick

 

Sterbenskranken Menschen die verbleibenden Tage lebenswert machen und deren Angehörige unterstützend begleiten, ist das Anliegen von Professor Dr. Dieter Siebrecht. Der Oberarzt ist Leiter der Interdisziplinären Schmerz- und Palliativstation am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Mit 24 Betten und 3.500 Patienten im Jahr ist sie die größte Palliativstation Deutschlands. Das SANITÄTSHAUS AKTUELL MAGAZIN hat mit dem Mediziner über seine Arbeit gesprochen. Außerdem ermöglichte er uns eine bewegende Begegnung mit seiner Patientin Uta Schlicht, einer starken und tapferen Frau, die uns am Krankenbett empfing.

Autorin: Silke Bromm-Krieger

Ein kleiner weißer Engel steht auf dem Tisch in ihrem Krankenzimmer. „Ich möchte, dass er später auf mein Grab kommt“, sagt Uta Schlicht. Die 46-jährige wird im Interdisziplinären Zentrum für Schmerz- und Palliativmedizin in Kiel betreut. „Ich habe eine Akute Myeloische Leukämie. Das ist eine bösartige Erkrankung des Blutsystems“, erklärt sie. Ob sie ihren 47. Geburtstag in drei Wochen erleben wird, ist ungewiss. Doch jetzt ist sie erst einmal froh, auf der Palliativstation zu sein. „Es ist total schön hier. Das Personal ist sehr liebevoll und ich bin mit meinen Ängsten nicht allein. Das gibt mir Sicherheit“, betont sie. Ein zermürbender Krankenhausmarathon liegt hinter ihr. „Meine Erkrankung äußert sich momentan in Erschöpfung, Luftnot und Schmerzen. Außerdem habe ich Seh- und Bewegungsstörungen“, berichtet sie. Dass sie bald auf ihre letzte große Reise gehen wird, ist für sie in Ordnung. „Ich bin dann nicht weg, sondern gehe nur voraus. Doch bis zu meinem Geburtstag will ich es noch schaffen. Schon neunmal bin ich dem Tod von der Schippe gesprungen. Jetzt reicht es wohl mal“, meint sie und ringt sich ein müdes Lächeln ab.

Erleichtert ist die Alleinlebende darüber, dass sie es geschafft hat, ein neues Zuhause für ihren Kater Angus zu finden. „Ich durfte die Klinik kurz verlassen, um meinen Liebling zu seiner neuen Besitzerin zu bringen“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Auch wenn sie körperlich schwach ist, das Pläneschmieden hat sie nicht aufgegeben. Sie möchte leben – bis zuletzt. Ein Bild für eine Freundin will die Hobbykünstlerin fertigstellen. Außerdem steht noch ein besonderes Highlight an. „Es gibt auf der Station den Verein „WunderVoll“, der Herzenswünsche Sterbender erfüllt. Ich habe mir gewünscht, mich von der Stute Pila zu verabschieden, die ich früher gepflegt habe“, verrät sie. Ob es etwas gibt, das sie Angehörigen und Freunden von Sterbenskranken mit auf den Weg geben will? Sie überlegt lange, lässt ihren Blick aus dem Fenster schweifen und formuliert eine Bitte: „Verlangt eurem Schwerkranken keine Rechtfertigung dafür ab, dass er gehen und sein Leid nicht unendlich ausschöpfen will. Versucht, ihn loszulassen“.

 

„Der Tod gehört zum Leben“

Interview mit Palliativmediziner Prof. Dr. Dieter Siebrecht

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Herr Professor Siebrecht, Sie betreuen Patienten der Palliativmedizin. Was bedeutet das?

© Silke Bromm-Krieger

Prof. Dr. Dieter Siebrecht: Palliativmedizin oder Palliative Care ist die ganzheitliche und individuelle Versorgung unheilbar erkrankter Menschen mit einer begrenzten Lebenserwartung. Das sind Krebskranke, aber ebenso Menschen mit schweren Lungen-, Nieren-, oder Herzkrankheiten. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen der Patient und seine Lebensqualität sowie die Angehörigen. Die Linderung von Schmerzen und Krankheitsbeschwerden hat höchste Priorität. Haben wir die bestmögliche schmerztherapeutische Behandlung gefunden, können etliche Patienten zur ambulanten Weiterversorgung noch einmal nach Hause. Außerdem haben wir ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen, die am Ende eines Lebens im Raum stehen. Dafür arbeiten wir in einem multiprofessionellen Team. Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Psychologen, Pastoren, Sozialarbeiter, Kunst- und Musiktherapeuten sowie ehrenamtliche Hospizhelfer sind für die Patienten da.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Warum ist ein multiprofessionelles Team erforderlich?

Prof. Dr. Dieter Siebrecht: Der Tod gehört zum Leben. Dennoch trifft er uns meist völlig unerwartet. Sterbende Menschen und ihre Angehörigen müssen sich in dieser Situation vielen Veränderungen stellen. Das ist oft verwirrend und lähmend. In dieser kritischen Lebensphase braucht es mehr als eine gute medizinische Versorgung. Für einige Patienten ist es wohltuend und entlastend, wenn sie von einer Musiktherapeutin eine Klangmassage erhalten, andere möchten mit einem Seelsorger reden oder mit Farbe und Pinsel kreativ sein. Angehörige sind dankbar für ein Gespräch mit der Hospizhelferin. Menschen, die dem Tod entgegensehen, brauchen jenseits der Medizin menschliche Wärme, Verständnis und eine positive Atmosphäre.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Was ist Sterbenden besonders wichtig?

Prof. Dr. Dieter Siebrecht: Für die Patienten ist es eine schlimme Vorstellung, unter quälenden Schmerzen oder Luftnot zu sterben. Doch diese Angst kann ich nehmen. Es gibt in der Schmerztherapie für die verschiedensten Arten von Schmerzen gut verträgliche Medikamente. Welche Möglichkeiten im Einzelfall infrage kommen, besprechen wir mit den Patienten und Angehörigen.

SANITÄTSHAUS AKTUELL Magazin: Vielen Dank für das Interview!

Das könnte Sie noch interessieren:

Kontakt zur Sanitätshaus Aktuell Magazin Redaktion

Folgen Sie unserem Magazin auf: