Zukunftsmodell Demenz-WG

EMMA-Redakteurin Chantal Louis im Interview

 

Chantal Louis ist seit 1994 Redakteurin bei der Zeitschrift EMMA. 2015 hat sie das Buch „Ommas Glück – Das Leben meiner Großmutter in der Demenz-WG“ veröffentlicht, in dem sie warmherzig über das Leben ihrer Omma und der anderen sechs Bewohner der Wohngemeinschaft berichtet. Chefredakteur Christian Sujata hat mit ihr gesprochen.

Autor: Christian Sujata

SAM: Liebe Frau Louis, eine WG habe ich bisher eher mit jungen Leuten verbunden. Ihre Großmutter ist dagegen im hohen Alter von 83 Jahren in ihre erste Wohngemeinschaft gezogen. Wie kam es dazu?

Chantal Louis: Meine Omma kam zunächst ins Altersheim, weil sie nicht mehr alleine wohnen konnte. Doch wir haben schnell gemerkt, das funktioniert nicht. Dieses Heim war auf demente Menschen nicht eingestellt und meine Omma ist dort einfach durch die Maschen gerutscht. Daraufhin haben sich meine Mutter und ich nach alternativen Lösungen umgeschaut und waren höchst überrascht, zu hören, dass es WGs für demente Leute gibt. Daraufhin haben wir uns direkt eine dieser WGs angeguckt und waren sofort total begeistert. Erstens, weil es eine normale, große und gemütlich eingerichtete Wohnung war. Zum anderen, weil die beiden Betreuer dort ganz toll, sensibel und mit großem Verständnis mit den Bewohnern umgegangen
sind. Wir haben gefühlt, hier ist es gut und uns sofort eines der freien Zimmer ausgewählt.

SAM: Können Sie uns die WG noch näher erläutern?

Chantal Louis: Die WG ist eine normale Wohnung mit einem Wohnzimmer und einer Küche, die in der Mitte liegen, damit auch verwirrte Menschen immer wieder dorthin finden. Jeder Bewohner hat zudem ein eigenes Zimmer. Dazu gibt es einen Pflegedienst, der von uns Angehörigen der sieben Bewohner gemeinsam beauftragt wurde. Dieser ist rund um die Uhr da, arbeitet in drei Schichten und erledigt alle Dinge, die in der WG anfallen: Von der reinen Pflege über das gemeinsame Kochen bis hin zur Betreuung. Wichtig ist, dass sich hinter unserer WG kein Träger verbirgt. Wir Angehörige sind der Mieter der Wohnung und der Auftraggeber des Pflegedienstes in einem.

SAM: Wie sieht es mit den Kosten bei einer Demenz-WG aus?

Chantal Louis: Man hat bei der WG die normale Miete, dazu das Haushaltgeld und die Pflegekosten. Meine Omma hat inzwischen Pflegestufe 3, das bedeutet, dass der Pflegedienst im Monat 4.000 Euro bekommt. Unterm Strich kommen so rund 5.000 Euro pro Monat zusammen. Das ist natürlich mehr, als in einem Heim anstünde. Eine noch recht fitte WG-Mitbewohnerin braucht dagegen gar keine Pflege im eigentlichen Sinn. Sie hat deshalb Pflegestufe 0 und der Pflegedienst bekommt rund 500 Euro im Monat. Wenn sie das nun mit 400 Euro Miete und etwa 250 Euro Haushaltsgeld zusammenrechnen, liegen sie dagegen sehr viel günstiger als beim Heim. Es kommt also auf die jeweilige Pflegestufe und den Betreuungsbedarf an. Wichtig zu wissen ist, dass bei den Kosten das Gleiche passiert wie beim Heim: Man schaut also, wie viel Kosten sind unterm Strich da, wie hoch ist die Rente, dann kommt das Geld aus der Pflegekasse hinzu. Und wenn dann noch eine Differenz besteht und kein eigenes Geld vorhanden ist, werden die Angehörigen herangezogen. Wenn auch da nichts vorhanden ist, tritt in der Regel das Sozialamt ein.

SAM: Glauben Sie, dass Demenz-WGs eine bessere Lösung für viele sein können?

Chantal Louis: Definitiv ja. Ich glaube das Konzept „Langer Flur, 30 Personen auf einer Station, für die zwei Pflegekräfte zuständig sind und die alle zusammen in einer großen, anonymen
Kantine essen“ wird sich auf Dauer nicht halten können. Zudem landen in den Heimen seit Jahren nur noch die ganz schweren Fälle. Das war früher mal anders. Ich glaube, fast jeder von uns kann sich mittlerweile besser vorstellen, im Alter in einer Wohngruppe zu wohnen, wo man angemessener mit seinen Bedürfnissen versorgt wird, als in einem anonymen Heim. Das mit den Demenz-WGs war übrigens zunächst nur eine Graswurzelbewegung (eine politische oder gesellschaftliche Initiative, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht, Anm. d. Red.). Doch je mehr davon gegründet wurden, desto mehr ist der Gesetzgeber drauf eingestiegen. Soweit ich weiß, gibt es mittlerweile in allen Bundesländern eine Gesetzgebung zu dem Thema.

SAM: Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Wie gehen die Bewohner miteinander um?

Chantal Louis: Ein Symptom der Demenz ist ja in der Regel, dass die Impulskontrolle verloren geht. Das heißt, die Bewohner hauen da manchmal schon ganz schöne Sachen raus. Wenn ihnen etwas nicht passt, dann sagen die das auch. Gleichzeitig haben wir hier aber auch das umgekehrte Phänomen: Dann sind die Demenzkranken im positiven Sinne ganz frei in dem, was sie sagen. Manchmal geht es also sehr ruppig zu, aber ein anderes Mal dafür auch sehr rührend.

SAM: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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